Mit Antibiotika gegen Autoimmunerkrankungen

Antibiotika sind dazu da, um bakterielle Infektionen zu bekämpfen. Oft haben sie aber eine Wirkung auch gegen andere Erkrankungen. Hier: Autoimmunerkrankungen. – Foto: AdobeStock/CrazyCloud
Antibiotika dienen der gezielten Bekämpfung von bakteriellen Infektionen. Und doch: „Ein Antibiotikum, das ausschließlich krankheitsverursachende Bakterien bekämpft, gibt es allerdings nicht. Bestimmte Antibiotika hemmen sogar Bestandteile des Immunsystems“: Dies ist die vorläufige Bilanz eines Forschungsprojekt an der Universitätsmedizin Mainz, in dem Wissenschaftler daran arbeiten, die Mechanismen zu entschlüsseln, die diesem Effekt zugrunde liegen. Ihr Fazit: Die Ergebnisse der Studie lieferten erfolgversprechende Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Therapien zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Multipler Sklerose (MS).
Im Fokus der Untersuchung: Das Antibiotikum Linezolid
Im Fokus der Untersuchung stand zunächst das Antibiotikum Linezolid und dessen Wirkungsweise bei Multipler Sklerose (MS). Bei dieser und anderen Autoimmunerkrankungen, wie der rheumatoiden Arthritis oder den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, schützt das Immunsystem den eigenen Körper nicht mehr, sondern bekämpft körpereigene Organe und Gewebe, indem es Entzündungsprozesse auslöst.
Antibiotikum hemmt Autoimmunreaktion der T-Zellen
Das Mainzer Forscherteam um den Mikrobiologen Tim Sparwasser konnte zeigen, dass die Wirkungsweise von Linezolid insbesondere die Funktion eines bestimmten Typs von Immunzellen beeinträchtigt: die Th17-Zellen, benannt nach dem von ihnen produzierten Botenstoff (Zytokin) Interleukin-17. Im Rahmen der Studie gelang es den Wissenschaftlern, im Mausmodell zu belegen, dass Linezolid in der Lage ist, die durch die T-Zellen (bestimmte weiße Blutkörperchen) ausgelöste Autoimmunreaktion effektiv zu hemmen. T-Lymphozyten oder kurz T-Zellen sind eine Gruppe von weißen Blutkörperchen und dienen der Immunabwehr.
Rückgang von Symptomen im Laborexperiment
In der Fachzeitschrift „Immunology“ berichten die Wissenschaftler davon, dass das Antibiotikum die Anzahl der aktivierten Th17-Immunzellen reduziert habe und der entzündungsfördernde Botenstoff Interleukin-17 weniger stark ausgeschüttet worden sei. In der Folge seien die Symptome der mit der MS beim Menschen vergleichbaren Experimentellen Autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) deutlich zurückgegangen.
Eine schnelle Lösung ist mit dem offensichtlichen Erfolg in der Grundlagenforschung für die klinische Behandlung noch nicht erzielt. Bei dem für die Untersuchung ausgewählten Antibiotikum Linezolid handelt es sich zwar um ein verfügbares Medikament. Allerdings gilt Linezolid als wichtiges „Reserveantibiotikum“. Das bedeutet: Es gehört also zu der immer geringeren Zahl von Antibiotika, die auch dann noch helfen, wenn es andere nicht mehr tun. Deshalb sind sie sparsam und nur im Notfall zu verwenden.
Frühe Blockade entzündungsfördernde Botenstoffe
Die gute Nachricht allerdings ist: Die Mainzer Forscher fanden auch heraus, dass ein dem Linezolid verwandter Wirkstoff, das Argyrin, als alternativer Therapieansatz infrage kommt. Argyrin ist ein synthetisch hergestelltes Peptid, das antimikrobielle, antitumorale und immununterdrückende Aktivitäten besitzt. „Beide Substanzen blockieren in einem sehr frühen Stadium die Herstellung von Botenstoffen, die für die Funktion von Immunzellen notwendig sind“, heißt es in Mainz weiter. „Dieser Eingriff in die sogenannte Proteinbiosynthese in den Mitochondrien, also den für die Energieversorgung des Organismus zuständigen Zellbestandteilen, hemmt somit auch entzündliche Autoimmunreaktionen.“