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Medizinal-Cannabis: Ist der Hype vorbei?

Sonntag, 27. März 2022 – Autor:
Nach einem sprunghaften Anstieg in den ersten drei Jahren ist die Verordnung von Medizinal-Cannabis seit 2019 wieder stetig zurückgegangen. Das zeigt eine Auswertung der „Barmer“. Ein Grund dafür war der allgemeine Rückgang der Arztbesuche in der Corona-Pandemie. Ein anderer: Dass dieser Arzneistoff sehr spezifisch ist – und längst nicht ausreichend erforscht.
Grafik: Anträge, Genehmigungen, Ablehnungen für Medizinalcannabis von 2017 bis 2021.

Steiler Aufstieg, dann der Sinkflug: Bedeutung von Medizinal-Cannabis für Versicherte der Barmer in den fünf Jahren seit der Legalisierung von Medizinal-Cannabis im März 2017. – Foto: Barmer

Seit dem Frühjahr 2017 zahlen die Krankenkassen in medizinisch begründeten Fällen Arzneimittelzubereitungen mit Cannabis als Wirkstoff – beispielsweise gegen besonders heftige Formen von Kopfschmerzen, die anders nicht (mehr) zu behandeln waren. In den folgenden zwei Jahren dann registrierten die deutschen Apotheker deutlich mehr Verordnungen des sogenannten Medizinal-Cannabis, das nicht zu verwechseln ist mit der – meist als Joint gerauchten – Lifestyle-Droge. Jetzt, fünf Jahre nach der Legalisierung von Cannabis als Medizin, zieht zumindest die „Barmer“ eine eher nüchterne Bilanz für den Bereich ihrer eigenen Versichertengemeinschaft.

Barmer-Chef: „Cannabis ist kein Allheilmittel“

„Der große Hype um Cannabis scheint vorbei“, sagte der Vorstandsvorsitzende der zweitgrößten gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland, Christoph Straub. Cannabis werde inzwischen gezielter eingesetzt; in einem therapeutischen Gesamtkonzept könne Cannabis bei Schwerkranken auch sinnvoller Teil der Behandlung sein. „Aber es ist eben kein Allheilmittel und als Schmerzmittel allein unzureichend“, sagte Straub.

Medizin-Cannabis: Hoffnung, wenn andere Arzneien nicht helfen

Mit der dem sogenannten Cannabis-Gesetz von 2017 wurde für medizinische Zwecke gezüchtetes, rauschwirkungsfreies Cannabis legalisiert und die Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) möglich. Zu den häufigsten Gründen für den Einsatz von Medizinal-Cannabis zählen Schmerzen, Spastiken (Muskulaturspannungen) – etwa bei Multipler Sklerose, sowie Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Krebsbehandlungen.

Anträge auf Kostenübernahme für Cannabis: Kurve rauf, Kurve runter

Eine Analyse der Barmer anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Cannabis-Gesetzes für die Gruppe der eigenen Versicherten zeigt: Vor allem im ersten Jahr der Legalisierung, 2017, stieg die Zahl der Anträge auf Kostenübernahme bei medizinischem Cannabis sprunghaft an. Der Trend nach oben setzte sich im Jahr darauf fort und erreichte 2019 seinen bisherigen Zenit.

Seither sinken die Zahlen stetig, wenn auch nicht ganz so spektakulär, wie sie vorher gestiegen sind. Zwischen Mai 2018 und März 2020 habe es monatlich immer zwischen 400 und etwa 540 Anträgen gegeben, sagt Barmer-Vorstandschef Straub. Seit April 2020 habe sich die Zahl bei rund 300 bis 400 Anträgen eingependelt.

Weniger Cannabis-Verordnungen: Zwei Erklärungen

Dafür, dass die Zahlen in den vergangenen beiden Jahren gesunken sind, werden in der Barmer-Analyse hauptsächlich zwei Gründe angeführt: Erstens werde Medizinal-Cannabis inzwischen gezielter eingesetzt. Zweitens seien Patienten aufgrund der Corona-Pandemie generell seltener zum Arzt gegangen – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Verordnungszahlen auch bei cannabishaltigen Präparaten.

Überproportional viele Anträge im Saarland, in Bayern und Berlin

Wie aus der Barmer-Analyse weiter hervorgeht, wurden in den vergangenen knapp fünf Jahren prozentual vergleichsweise viele Anträge im Saarland, in Bayern und Berlin gestellt, mit 410 beziehungsweise 394 und 355 je 100.000 Barmer-Versicherten. Am geringsten war die Rate in Sachsen mit 198 je 100.000 Personen.

In absoluten Zahlen wurden die meisten Anträge auf Kostenübernahme cannabishaltiger Präparate in Bayern mit 4.682 gestellt, gefolgt von Nordrhein-Westfalen (4.587) und Baden-Württemberg (2.076). „In Bayern gibt es auch deshalb so viele Verordnungen für Cannabis, weil seit Mitte der 90er-Jahre an der Universität München gezielt dazu geforscht wurde“, sagt Barmer-Chef Straub. Viele Ärzte hätten sich in der Zwischenzeit gezielt fortgebildet und vielfach Cannabis in die Behandlung unterschiedlicher Erkrankungen integriert. Umgekehrt könne es in manchen Regionen zu niedrigeren Bewilligungsquoten kommen, weil Genehmigungsanträge unzureichend begründet seien.

Barmer: Fast 174.000 Verordnungen für rund 87 Millionen Euro

In den fünf Kalenderjahren seit Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes bekamen Barmer-Versicherte fast 174.000 Verordnungen cannabishaltiger Präparate im Wert von etwa 87 Millionen Euro. Darunter waren etwa 34.000 Verordnungen unverarbeiteter Cannabisblüten. „Für den Einsatz von Cannabisblüten brauchen sowohl die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten Erfahrung“, sagt Barmer-Chef Straub. „Sie sind schwer dosierbar, die Wirkung ist nicht ohne Weiteres steuerbar.“

Wie Medizin-Cannabis eingenommen wird

Die gängige Darreichungsform von Medizinal-Cannabis ist die Inhalation mithilfe sogenannter Vaporisatoren; sie gilt allerdings als aufwändig. Leichter dosier- und anwendbar als Cannabisblüten sind laut Barmer flüssige Cannabisextrakte zum Einnehmen, ein Mundspray oder der isolierte Cannabiswirkstoff Dronabinol in Form von Kapseln oder Tropfen zum Einnehmen.

Hauptkategorie: Gesundheitspolitik
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