Medikamentenpreise: Deutschland weiter am teuersten

"Sie kosten mehr, als sie wert sind": Prof. Dr. Ulrich Schwabe (1.v.li.), Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports über patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland.
38,5 Milliarden Euro haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2016 für Arzneimittel ausgegeben, inklusive der Zuzahlungen, die jeder Versicherte aus eigener Tasche leisten muss. Die Kosten für Medikamente erhöhten sich damit um 3,9 Prozent im Vergleich zum Jahr zuvor. Das Volumen der verordneten Medikamente wuchs im selben Zeitraum aber nur gut halb so stark – um 2,1 Prozent. „2016 wurden mehr, aber vor allem auch teurere Arzneimittel verordnet“, kritisiert Ulrich Schwabe, Herausgeber des jährlich erscheinenden und jetzt wieder frisch aufgelegten Arzneiverordnungs-Reports. „Hauptursache dafür war die überproportionale Kostensteigerung bei den patentgeschützten Wirkstoffen.“
Österreich oder Niederlande: 20 Prozent günstiger
Die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports registrieren seit Jahren einen „anhaltenden Trend zu neuen hochpreisigen Arzneimitteln im patentgeschützten Markt“. Sie illustrieren das mit der Preisentwicklung in diesem Segment im zurückliegenden Jahrzehnt: Noch 2006 lag der Einzelumsatz pro Verordnung bei dem einen Prozent der teuersten Produkte bei 946 Euro brutto. 2016 waren es mindestens 3.979 Euro – gut viermal so viel. "Patentgeschützte Arzneimittel sind in Deutschland besonders teuer“, konstatiert Jürgen Klauber, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). In Ländern wie Österreich oder den Niederlanden, deren Wirtschaftskraft mit Deutschland vergleichbar sei, lägen „die öffentlich bekannten Listenpreise etwa 20 Prozent günstiger als bei uns".
Deutschland – „Preisparadies für die Pharma-Industrie“
Manche Kritiker bezeichnen Deutschland deshalb als eine Art Preisparadies für die pharmazeutische Industrie. Grundsätzliche Kritik richtet auch der diesjährige Arzneiverordnungs-Report an die immer wieder als seltsam liberal erachteten und von der Politik letztlich zugelassenen Rahmenbedingungen bei der Preisfindung. Als Besonderheit des deutschen Arzneimittelmarktes nennt Herausgeber Ulrich Schwabe die freie Preisbildung von Patentarzneimitteln im ersten Jahr nach der Markteinführung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und ihrer Mitglieder. „Für dieses Privileg musste die GKV seit 2011 insgesamt 834 Millionen Euro mehr zahlen als nach Abschluss der Preisverhandlungen. Das gibt es in keinem europäischen Land, dass die Krankenkassen erst zahlen müssen und dann einen Preis verhandeln können.“ Als „schlimmstes Beispiel“ für eine solche Preisstrategie nennt Schwabe das Präparat Tecfidera zur Behandlung von Multipler Sklerose: „Es kam in Deutschland mit einem 80 Prozent höheren Listenpreis als in den Niederlanden auf den Markt. Das liegt schon an der Grenze zum Wucherpreis.“ Ganz besonders die gentechnologisch hergestellten Biologika treiben die Ausgaben im Patentmarkt demnach in die Höhe.
Drittgrößter Kostenblock bei den gesetzlichen Krankenkassen
Pillen, Tropfen oder Spritzen machen mit einem Anteil von 17,2 Prozent den drittgrößten Kostenblock innerhalb der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen aus – gerade noch. Nur mit einem hauchdünnen Abstand vor ihnen liegt die Heiltätigkeit der ambulanten Ärzte mit 17,3 Prozent. Größter Einzelposten im Ausgabenkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung ist die stationäre Behandlung von Patienten im Krankenhaus mit 34,7 Prozent. Dies zeigen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums.
Einmal mussten Passagen geschwärzt werden
Der Arzneiverordnungs-Report erscheint jährlich seit 1985 und gilt als Standardwerk. Im Report werden die Verschreibungspraxis von Vertragsärzten und -zahnärzten analysiert und zugleich die jährlichen Arzneimittelkosten der GKV erfasst. Die Autoren erheben den Anspruch, eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für den fachlichen Austausch zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen bereitzustellen und die Markt- und Kostentransparenz im Arzneimittelbereich zu erhöhen. Zugleich gilt der Arzneiverordnungs-Report als pharmakritisch und machte sich nicht immer Freunde. 1997 gingen 19 Unternehmen der Pharmaindustrie juristisch gegen die Veröffentlichung vor. Der Arzneiverordnungs-Report konnte daraufhin erst erscheinen, nachdem die betreffenden Passagen geschwärzt worden waren.
Foto: AOK-Mediendienst