An der gemeinsamen Seltian-Studie sind Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz sowie Jugendpsychiater der Berliner Charité und des Johanniter-Zentrums Neuwied beteiligt.
In Deutschland leiden laut Robert Koch-Institut bereits 2,3 Millionen Kinder und Jugendliche an Symptomen einer Essstörung. Betroffen sind vor allem Mädchen in der Pubertät, aber auch bei Jungen im Kindesalter ist der Wunsch abzunehmen immer weiter verbreitet. Zu den Essstörungen zählt die Magersucht (Anorexia nervosa), eine schwere psychische Erkrankung mit einer oft schlechten Prognose. Das starke Untergewicht der Betroffenen und das Risiko einer weiteren Gewichtsabnahme gefährdet ihre Gesundheit und kann lebensbedrohlich sein, heißt es weiter in einer Mitteilung der Uni Mainz.
Magersucht: App soll Therapie unterstützen
Das gemeinnützige Unternehmen Jourvie hat die App „Jourvie Research“ entwickelt. Damit können Magersüchtige digital und diskret notieren, was sie wann und mit welchem Gefühl gegessen haben. Diese Protokolle sollen helfen, Denk- und Verhaltensmuster im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme besser zu erkennen und so die Therapie der Magersucht unterstützen.
Bislang füllten Betroffenen ihre Essprotokoll meist mit Papier und Stift aus, erklärt Prof. Michael Huss, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. „Mit Hilfe der App ist es möglich, eingenommene Mahlzeiten und die damit verbundenen Gefühle auf praktische und moderne Art zu protokollieren: Das Handy ist ohnehin immer dabei, und niemand kann sehen, welche Funktion der Nutzer gerade verwendet.“
In Krisen-Situationen schlägt die App Alternativen vor
Geraten die Erkrankten in eine Krisen-Situation, auf die sie tendenziell mit gestörtem Essverhalten reagieren würden, schlägt ihnen die App alternative Handlungen vor, Musik hören, lesen oder sich an etwas Schönes erinnern. Ziel ist es, dass die Magersüchtigen ihr Gewicht erhöhen oder zumindest halten.
In psychiatrischen Einzelgesprächen werden die App-Protokolle mit dem Therapeuten besprochen, Strategien zur Gewichtsstabilisierung und individuelle Lösungs-Vorschläge für schwierige Situationen entwickelt. Die werden wiederum in der App gespeichert. Die Forscher vermuten, dass die Therapie dadurch effektiver wirkt. In der Kontrollgruppe der Studie kommt das digitale Hilfsmittel nicht zum Einsatz.
Studien-Teilnehmerinnen werden noch gesucht
Für ihre noch laufende Pilot-Studie suchen die Wissenschaftler an den drei Standorten noch Teilnehmerinnen: Untergewichtige Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren mit Verdacht oder Diagnose einer Anorexia nervosa, die noch auf ihren ambulanten Therapieplatz warten. Für die Region Mainz gehen Anfragen an david.kolar@unimedizin-mainz.de.
Ab einem bestimmten Punkt der Gewichtsabnahme bedürfen die Magersüchtigen einer stationären Behandlung. Wenn es auch dank der App gelänge, deren Anzahl zu verringern, wäre das aus Sicht der Betroffenen und aus Sicht des Gesundheitssystems sehr zu begrüßen, betont der Studienleiter, der Mainzer Diplom-Psychologe David Kolar.
Foto: Bayer Aspirin Sozialpreis/Bayer Stiftung