Lungenarzt über die neuesten COVID-19-Entwicklungen: „Remdesivir ist nicht die Lösung des Problems”

Kampf gegen die COVID-19-Pandemie: Der Infektiologe und Pneumologe Prof. Nobert Suttorp von der Charité erläutert die aussichtsreichsten Strategien
Anfangs waren es HIV-Medikamente, dann geriet ein Malariamedikament in die Schlagzeilen, jetzt wird das Ebolamedikament Remdesivir als Heilsbringer in der COVID-19-Pandemie gehandelt, steht es doch kurz vor einer beschleunigten Zulassung in der EU. Allerdings besitzt Remdesivir nur eine begrenzte Wirksamkeit, wie Studien zeigen: Einige COVID-19-Patienten können die Intensivstation oder das Krankenhaus etwas schneller verlassen, ein verbessertes Überleben konnte bisher nicht belegt werden. Jedenfalls im Moment nicht, wo das Medikament nur in sehr späten Stadien sehr kranken Patienten gegeben wird.
Experten warnen darum vor falschen Erwartungen und schönen Nachrichten mit geringer Halbwertszeit. „Remdesivir ist nicht die Lösung des Problems“, sagt Prof. Norbert Suttorp, Direktor der Klinik für Infektiologie und Pneumologie an der Charité im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin. „Wir müssen das jetzt viel grundsätzlicher angehen und forschen, forschen, forschen.“
„Gebt uns Zeit zum Forschen“
Es waren das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Charité, die im März gemeinsam das „Nationale Netzwerk der Universitätsmedizin im Kampf gegen Covid-19“ angestoßen hatten. Alle 37 Universitätskliniken Deutschlands haben sich dem Forschungsnetzwerk mittlerweile angeschlossen; das BMBF fördert das Vorhaben mit 150 Millionen Euro. In dem Netzwerk werden zum einen Beobachtungsstudien mit kurzen und langen Nachbeobachtungszeiten durchgeführt, aus denen man viel über die unterschiedlichen Krankheitsverläufe und Behandlungsmaßnahmen lernen wird. Zum anderen sind interventionelle Studien vorgesehen, in denen Dutzende neue Therapien klinisch getestet werden, darunter die üblichen Verdächtigen, aber auch zahlreiche innovative Substanzen, die an verschiedensten Signalwegen ansetzen.
Allein in den ersten Wochen sind über 200 Studienideen in die Plattform eingeflossen, und etliche davon werden bereits im Rahmen von Modulen realisiert. So gibt es zum Beispiele Module, die sich primär um den Aspekt der Lunge kümmern, andere untersuchen die Auswirkungen aufs Herz, die Nieren oder endokrinologische Faktoren wie etwa die Frage, warum Frauen seltener von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind. „Diese breit aufgestellte Forschung wird uns wirklich weiterbringen“, ist Norbert Suttorp zuversichtlich. „Aber dafür brauchen wir Zeit und die müssen wir uns nehmen.“
Viel hilft viel – beim Forschen und beim Testen
Neben einer systematischen, breit angelegten Forschung hält der Infektionsmediziner noch eine weitere Strategie für wesentlich, um die Pandemie zu beherrschen: Testen, testen, testen. Während die Berliner Gesundheitsverwaltung erst am Dienstag eine „Berliner Teststrategie“ für ausgewählte Gruppen vorgelegt hat, hat die Charité von Anfang an ihr Personal, Patienten, Studenten sowie Berliner mit Infektionsverdacht großzügig getestet. An jedem Campus wurden Anlaufstellen für Mitarbeiter eingerichtet und Tausende haben von den freiwilligen Corona-Tests Gebrauch gemacht. Außerdem gab es eine Prävalenzuntersuchung mit mehreren Tausend Mitarbeitern, bei der herauskam, dass 0,5 Prozent infiziert waren. „Interessant dabei ist, dass die Frontrunner nicht häufiger betroffen waren als die Verwaltungsangestellten“, betont Suttorp. „Das zeigt, dass jeder, der mit der Krankheit direkt zu tun hat, sich zu schützen weiß, und es zeigt: Die Charité ist ein sicherer Ort.“
Dass Testen Schlimmeres verhindern kann, dafür ist Deutschland ein gutes Beispiel. In Italien gab es so viele Todesfälle, weil sich die Krankheit zunächst unbemerkt ausbreiten konnte. Deutschland hingegen war gewarnt und testet im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn nach wie vor viel.
Deutschland bester Ort, um COVID-19 zu überleben
Und dann verfügt Deutschland über ein Gesundheitssystem, um das uns viele beneiden. „Studenten aus dem Ausland sagen mir: Deutschland ist der beste Ort, um COVID-19 zu überleben“, berichtet Lehrstuhlinhaber Suttorp. Er hofft nun wie viele andere auch, dass Lehren aus der Krise gezogen werden, vor allem, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht länger als Renditeobjekt betrachtet wird. „Es wäre wünschenswert, wenn wir unser medizinisches Versorgungssystem noch robuster und adaptiver ausbauen könnten.“
Als „Frontrunner“ an einer Level 1 Klinik behandeln Prof. Norbert Suttorp und seine Charité-Kollegen naturgemäß die schwersten Fälle. Nicht alle Patienten können gerettet werden, und selbst diejenigen, die die Krankheit überleben, haben oft noch einen langen, schweren Weg vor sich: Gewöhnung an den Tages-Nacht-Rhythmus, Entwöhnung vom Beatmungsgerät, wochen- oder gar monatelange Rehabilitation. Auch ist mit Langzeitfolgen zu rechnen, die durch schweren Infektionskrankheiten und Lungenentzündungen beschleunigt werden: Herz-Kreislauf-Leiden, Gefäßverkalkung, Demenz und ein manchmal auch ein vorzeitiger Tod.
Lungenpest war gefährlicher als Corona
Trotz allem Leid, dass das Coronavirus über die Welt gebracht hat, hält der Lungenspezialist einen Kriegsvergleich für unangebracht, wie ihn etwa der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bemühte. „Die Pandemie ist kein Krieg“, sagt er mit Blick auf die stets funktionierenden Versorgungsketten von Wasser, Strom, Benzin und Lebensmitteln. Vor allem aber: Es hätte schlimmer kommen können. Die Lungenpest im Mittelalter zum Beispiel sei sehr viel ansteckender und tödlicher gewesen. Und es seien weitere gefährliche Pathogen aus dem Tierreich vorstellbar, die wesentlich mehr Schaden anrichten könnten als das aktuelle Coronavirus SARS-COV-2.„So gesehen und nur so gesehen ist das Virus eigentlich recht freundlich zu uns.“