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Locked-In-Patienten: Lebensqualität höher als vermutet

Freitag, 10. März 2017 – Autor: Anne Volkmann
Patienten, die im fortgeschrittenen Stadium der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) unter dem Locked-in-Syndrom leiden, scheinen ihre Lebensqualität erheblich besser einzuschätzen als ihre nächsten Angehörigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie aus Dresden.
Kommunikation trotz Locked-In-Syndrom

Auch vollständig gelähmte Patienten können mit der Außenwelt kommunizieren – Foto: pressmaster - Fotolia

Für Patienten mit Locked-In-Syndrom (LIS) ist es aufgrund ihres vollständig gelähmten Körpers nicht mehr möglich, sich mit ihrer Stimme oder mit Gesten mitzuteilen. Für Angehörige und Ärzte ist es daher oft schwierig einzuschätzen, inwieweit die Betroffenen noch über Lebensqualität verfügen. Erst kürzlich kamen Wissenschaftler aus Tübingen diesbezüglich zu einem überraschenden Ergebnis. Den Wissenschaftlern war es gelungen, mit Hilfe einer Computer-Gehirn-Schnittstelle (Brain Computer Interface), die in eine Kopfhaube integriert war, eine Kommunikation mit vier vollständig gelähmten ALS-Patienten aufzubauen. Die Forscher stellten dabei fest, dass die Patienten ihre Lebensqualität durchaus akzeptabel fanden und auf die Frage, ob sie glücklich seien, alle mit „Ja“ antworteten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen nun Forscher des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden.

Betroffene sehen ihre Situation oft anders als ihre Angehörige

Um die selbst empfundene Lebensqualität von Locked-In-Patienten zu ermitteln, haben die Dresdner Wissenschaftler Systeme zur Augensteuerung von Computern, sogenannter Remote-Eyetracker, genutzt. Die Patienten haben dadurch die Möglichkeit, mit der Bewegung ihrer Augen Computer zu steuern und auf diese Weise zu kommunizieren. Insgesamt 30 ALS-Patienten hatten an der Studie teilgenommen. Dank der Augensteuerung konnte eine vollkommen eigenständige Beantwortung der Fragen durch die Patienten ermöglicht und eine Einflussnahme durch Angehörige oder Ärzte ausgeschlossen werden. Denn vorher wurden Fragen meist durch Augenblinzeln beantwortet, was nur sogenannte Suggestivfragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten, erlaubte.

Nun wurden die Patienten gebeten, ihre eigene Lebensqualität auf einer Werteskala zwischen null und hundert Prozent einzuschätzen. Nach Auswertung aller Ergebnisse ermittelten die Forscher einen Durchschnittswert von 80 Prozent. Interessanterweise bewerteten die Familienangehörigen die Lebensqualität der ihnen nahestehenden Betroffenen lediglich mit 50 Prozent. Weitere Auswertungen zeigten, dass sich die Locked-In-Patienten offenbar mit der eigenen Situation arrangiert hatten. Sie akzeptierten, dass sie an einer schweren Krankheit litten, während bei den Angehörigen das Verlustdenken im Vordergrund stand.

Experten fordern bessere Kommunikationssysteme für Locked-In-Patienten

„Das bedeutet, dass selbst die nächststehenden Angehörigen die eigentlichen Gefühle und Meinungen der Patienten falsch einschätzen“, erklärte Studienleiter Professor Hermann von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsklinik Carl Gustav Carus. Im Umkehrschluss hieße das, „dass wir als Behandler bei lebenserhaltenden oder -verlängernden Maßnahmen auch oder gerade LIS-Patienten selbst befragen müssen und uns nicht auf den mutmaßlichen, durch die Angehörigen geäußerten Willen verlassen dürfen“, so der Experte.

Nach Ansicht der Autoren zeigt die Studie zudem, dass neuartige Kommunikationstechnologien wie das Eyetracking viel zu spät verordnet werden. Damit haben die Patienten keine Chance, sich frühzeitig daran zu gewöhnen und damit eventuell Entscheidungen für lebensverlängernde Maßnahmen zu treffen. Derzeit profitieren nur wenige Patienten mit Locked-In-Syndrom von den Möglichkeiten der Eyetracking-basierten Kommunikation. Für Patienten bedeutet das System nicht nur eine verbesserte Kommunikation, sondern steigert auch ihre Lebensqualität. In einigen Fällen funktioniert die Handhabung des Systems so gut, dass sie E-Mails schreiben, mit Freunden kommunizieren und auch den Pflegekräften Wünsche mitteilen können.

Foto: © pressmaster - Fotolia.com

Hauptkategorien: Gesundheitspolitik , Medizin , Pflege
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