Leopoldina legt drittes Konzept zum schrittweisen Rückkehr in die Normalität vor

Einkaufen mit Mund-Nasen-Schutz könnte normal werden. Die dritte Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina beschreibt gangbare Wege, wie die Corona-Krise nachhaltig überwunden werden kann
26 Wissenschaftler der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben am Montag ein Konzept für den schrittweisen Ausstieg aus dem Lockdwon vorgelegt. Es ist bereits die dritte Ad-hoc-Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie der Leopoldina. Wie in den beiden ersten Stellungnahmen behandelt auch die dritte die psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Aspekte der Pandemie und beschreibt Strategien, die zu einer schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität beitragen können. Dabei geht es um das schwierige Spagat zwischen Eindämmung der Pandemie und dem Abmildern der gravierenden gesellschaftlichen Folgen.
Voraussetzungen für Lockerungen
Die Autoren, zu denen Ethiker, Theologen, Wirschaftswissenschaftler, Mediziner und Biologen gehören, stellen fest, dass die Pandemie zwar das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben noch auf Monate bestimmen werde. Doch nun gelte es, über die akuten Einschränkungen zentraler Grundrechte (wie der Bewegungsfreiheit) hinaus zu gehen und Kriterien und Strategien für die allmähliche Rückkehr in die Normalität zu entwickeln. Voraussetzung für eine solche allmähliche Lockerung sei, so die Stellungnahme, dass sich die Neuinfektionen auf einem niedrigen Niveau stabilisierten, das Gesundheitssystem nicht überlastet werde, Infizierte zunehmend identifiziert und die Schutzmaßnahmen wie Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz und Distanzregeln eingehalten werden.
Welche Bereiche zuerst öffnen sollten
Unter diesen Voraussetzungen könnte zum Beispiel der Einzelhandel und das Gastgewerbe wieder öffnen sowie der allgemeine geschäftliche und behördliche Publikumsverkehr wiederaufgenommen werden. Darüber hinaus können dienstliche und private Reisen unter Beachtung der genannten Schutzmaßnahmen getätigt werden. Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sollte als zusätzliche Maßnahme in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr Pflicht werden. In Abhängigkeit von der möglichen räumlichen Distanz und den Kontaktintensitäten der Beteiligten sollten gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen nach und nach wieder ermöglicht werden.
Die kleinen Schüler zuerst, die Kindergartenkinder zuletzt
Auch der Bildungsbereich sollte schrittweise öffnen: Da jüngere Schüler im Bildungssystem mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen sind, schlagen die Autoren vor, zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe I wieder zu öffnen. Höhere Jahrgangsstufen sollten erst später folgen, da ältere Schüler Möglichkeiten des Fernunterrichts besser nutzen könnten. Dabei seien unterschiedliche Übergangsformen und Verknüpfungen zwischen Präsenzphasen und Unterricht auf Distanz mithilfe digitaler Medien denkbar. Der Betrieb von Kindergärten und Kitas sollte dagegen noch eingeschränkt bleiben, denn kleinere Kinder könnten sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten - gleichzeitig aber die Infektion weitergeben.
Darüber hinaus, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dürfe die aktuell stark auf COVID-19-Patienten konzentrierte Versorgung nicht zu einer Unterversorgung anderer Erkrankter führen. Dabei seien ausreichende Intensiv- und Schutzkapazitäten für neue Ausbrüche der Pandemie als Reserve vorzuhalten. Das Gesundheitswesen solle analysiert und entsprechend angepasst werden. Außerdem müsse die Forschung zu wirksamen Medikamenten und die Entwicklung von schnell und in großen Mengen verfügbaren Impfstoffen massiv vorangetrieben werden.
Vorlage für die Bundesregierung?
Bundesregierung und Bundesländer wollen am Mittwoch über eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen beraten. Kanzlerin Angela Merkel hatte angekündigt, die Leopoldina-Studie werde dabei eine "sehr wichtige" Rolle spielen.
Zu den Verfassern der Leopoldina-Studie gehören unter anderem der Ökonom Dr. Clemens Fuest vom ifo-Institut München, der Rechtsphilosoph Prof. Reinhard Merkel von der Uni Hamburg, der Theologe Prof. Christoph Markschies von der HU Berlin und der Vorstandsvorsitzende der Charité Prof. Heyo Kroemer.
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