Lebenserwartung in Deutschland: Der Osten überholt den Westen

Die Lebenserwartung in Ostdeutschland ist seit der Wiedervereinigung stark angestiegen. Ein neugeborenes Mädchen im Kreis Leipzig hat heute statistisch die Aussicht, gut 83 Jahre alt zu werden. Kurz nach der Wende waren es nur 76. – Foto: AdobeStock/morrowlight
Anfang der 1990er-Jahre zeigte sich bei der Gesundheit von West- und Ostdeutschen ein sehr deutliches Bild: Die Unterschiede in der Sterblichkeit waren massiv. In den einkommensstärksten und damit relativ wohlhabenden Landkreisen im Osten erreichte die Lebenserwartung nicht einmal die der ärmsten Landkreise im Westen. 30 Jahre später sind die Unterschiede zwischen Ost und West bei der Lebenserwartung wie beim Einkommen kleiner geworden. Der Osten hat aufgeholt – und den Westen teils sogar inzwischen überholt. Das zeigt eine Studie zu Gesundheit und Einkommen, die die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in Kooperation mit zwei US-Universitäten durchgeführt hat.
Verhältnis Einkommen-Sterblichkeit auf Landkreisebene
Das internationale Forscherteam nutzte für sein Projekt Daten des Statistischen Bundesamts aus den Jahren 1990 bis 2015. Untersucht wurden das durchschnittliche verfügbare Einkommen und die Todesfälle pro 1.000 Personen in verschiedenen Altersgruppen. Anhand dieser Angaben ließ sich der Zusammenhang zwischen Einkommen und Sterblichkeit auf der Ebene einzelner Landkreise darstellen.
1990er: „Todesfälle in allen Altersgruppen im Osten deutlich höher“
„Direkt nach der Wiedervereinigung zeigte sich ein sehr deutliches Bild: Die Unterschiede in der Sterblichkeit waren extrem groß“, heißt es in einer Mitteilung der Uni Halle-Wittenberg. „Vom Einkommen her waren 1995 die stärksten Kreise in den neuen Bundesländern ähnlich gestellt wie die ärmsten Kreise im Westen. Und gleichzeitig waren die Todesfälle pro 1.000 Personen über alle Altersgruppen hinweg im Osten deutlich höher, also war die Lebenserwartung deutlich niedriger", sagt Amelie Wuppermann, an der MLU Professorin für Gesundheitsökonomie. So lag zum Beispiel die Lebenserwartung für neugeborene Mädchen im einkommensstarken Landkreis Leipzig bei etwa 76 Jahren. Im niedersächsischen Aurich, der nominell ähnliche – aber für den Westen niedrige – Einkommenswerte erzielte, lag sie fast zwei Jahre höher – bei 78,8 Jahren.
25 Jahre nach der Wiedervereinigung: Leipzig vor Aurich
Diese Unterschiede gingen im Laufe der Jahre zurück. Schon um das Jahr 2003 waren die großen Unterschiede bei der Sterblichkeit weitgehend verschwunden. Erste Landkreise in Ostdeutschland erzielten bereits bessere Werte als vergleichbare Kreise im Westen. „Bis 2015 haben sich diese Trends fortgeschrieben und die Verhältnisse teilweise sogar umgekehrt“, sagt Joachim Winter, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der LMU München. Die Lebenserwartung für neugeborene Mädchen lag zu diesem Zeitpunkt (25 Jahre nach der Wiedervereinigung) im sächsischen Leipzig bei 83,6 Jahren und im ostfriesischen Aurich bei 82,3 – obwohl beide Regionen etwa gleiche Einkommenszuwächse erzielten.
„Starker Anstieg der Lebenserwartung im Osten“
„Im Zeitraum von 1995 bis 2015 ist der Zusammenhang zwischen verfügbarem Einkommen und Sterblichkeit in Deutschland insgesamt also deutlich schwächer geworden“, lautet das Fazit der Studienautoren. „Maßgeblich dazu beigetragen hat der starke Anstieg der Lebenserwartung im Osten.“
US-Studie: Lebenserwartung in Europa größer als in USA
Die Daten aus Deutschland sind auch in eine neue internationale Studie eingeflossen, die im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS) veröffentlicht wurde. In diesem Forschungsprojekt der Northwestern sowie der Princeton University wurde ein Vergleich der Lebenserwartung in Europa und den USA durchgeführt. Dabei schnitten die Europäer sowohl bei der Lebenserwartung insgesamt als auch beim Zusammenhang von Lebenserwartung und sozio-ökonomischem Status besser ab.