Längeres Zeitfenster: Lyse in Einzelfällen bis 9 Stunden nach Schlaganfall möglich

Das strikte Zeitfenster für die Lyse wird nicht allen Schlaganfallpatienten gerecht
Beim Schlaganfall zählt jede Minute. Doch nur 10 bis 15 Prozent aller Betroffenen bekommen überhaupt eine spezifische Therapie. Das liegt hauptsächlich daran, dass die meisten zu spät in die Klinik kommen. Eine Thrombus auflösende Lyse darf nämlich nur bis 4,5 Stunden nach dem Auftreten der Symptome gegeben werden. Ist der Zeitpunkt des Schlaganfalls nicht bekannt, weil er während des Schlaf eintrat, durfte bisher keine Lyse gegeben werden. Doch nun zeigen Daten dass dieses enge Zeitfenster nicht unbedingt zwingend ist und deutlich mehr Patienten von der Thrombolyse profitieren könnten.
Strikte Zeitgrenze von 4,5 Stunden gilt nicht für alle
Die strikte Zeitgrenze von 4,5 Stunden für die Lysetherapie werde nicht allen Patienten gerecht, meint Professor Armin Grau, Vorsitzender der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG). „Je nach der individuellen Durchblutungssituation von Patienten können sich auch Behandlungsmöglichkeiten jenseits der 4,5 Stunden-Grenze ergeben, wie kürzlich unter anderem die australische EXTEND-Studie gezeigt hat.“
Minderdurchblutetes Hirngewebe retten
In der Studie konnte nachgewiesen werden, dass Patienten bis zu neun Stunden nach einem Schlaganfall von einer Lyse profitieren können, wenn rettbares Hirngewebe vorliegt. Aufschluss darüber gaben Perfusionsuntersuchungen im MRT oder CT, mit denen man heute die minderdurchbluteten Areale mit dem sogenannten Infarktkern vergleichen kann. Mit dieser sogenannten erweiterten Bildgebung lässt sich erkennen, wie viel Hirngewebe nicht mehr zu retten ist und wie viel Gewebe zwar minderdurchblutet, aber noch zu erhalten ist.
Während das Gewebe im Kerngebiet innerhalb weniger Minuten abstirbt, ist das Gebiet um diesen Kern in den nächsten Tagen und Stunden ebenfalls stark vom Absterben bedroht. Um dieses Gebiet, die sogenannte Penumbra, ging es in der australischen Studie.
Weniger Beeinträchtigungen nach Lyse
In die EXTEND-Studie waren 225 Patienten mit ischämischem Schlaganfall eingeschlossen, die in der Perfusionsbildgebung rettbares Hirngewebe gezeigt hatten. Nach dem Zufallsprinzip erhielten sie zwischen 4,5 und 9,0 Stunden nach Beginn des Schlaganfalls oder beim Erwachen mit Schlaganfall (innerhalb von neun Stunden ab dem Mittelpunkt des Schlafes) eine Lyse oder ein Placebo. Für die Patienten, die die Lyse-Therapie erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit ein sehr gutes klinisches Ergebnis ohne relevante bleibende Beeinträchtigungen zu erreichen im Vergleich zur Placebo-Gruppe um 44 Prozent höher. Weitere Studien, unter anderem auch die Metaanalyse der drei Studien EXTEND, ECASS4-Extend und EPITHET haben die Ergebnisse bestätigt. Zuvor hatte die Wake up-Studie einen Nutzen der Lyse für Patienten gezeigt, die ihren Schlaganfall im Schlaf erlitten hatten.
„Die Studienergebnisse zeigen, dass das Zeitfenster für die Therapie mit Lyse bei einzelnen Patenten länger ist als 4,5 Stunden“, fasst Professor Grau die Ergebnisse der Studien zusammen. Andere Untersuchungen hatten bereits ein längeres Zeitfenster für die Behandlung mit einer Thrombektomie belegt. Den Grund sieht der Experte darin, dass manche Patienten über gute Umgehungskreisläufe (Kollateralen) verfügen: Dabei handelt es sich um Nebenäste, die dasselbe Gehirngebiet versorgen, wie die vom Schlaganfall betroffenen Hauptäste. Diese ermöglichen eine längere Gewebedurchblutung.
„Jede Minute zählt – diese Regel in der Schlaganfalltherapie bleibt aber weiterhin gültig, auch wenn für einzelne Patienten nun längere Therapiezeitfenster sein können", so der Experte.