Eine Krankheit wird als selten definiert, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen von ihr betroffen ist. Bei vielen Seltenen Krankheiten sind nur eine Handvoll Patienten in Europa bekannt; manche der Seltenen Erkrankungen sind aber auch sehr viel stärker verbreitet. Gemeinsam ist ihnen, dass es nach wie vor zu wenig Forschung und Therapiemöglichkeiten gibt. Im Durchschnitt vergehen sieben Jahre, bis eine Seltene Erkrankung überhaupt diagnostiziert wird – für die Betroffenen bedeutet das häufig eine qualvolle Zeit. Wissenschaftler der Universität Bonn und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun in einer Studie gezeigt, wie Künstliche Intelligenz dazu beitragen kann, solche Erkrankungen schneller und sicherer zu erkennen. Dabei kombiniert ein neuronales Netzwerk automatisch Porträtfotos mit Gen- und Patientendaten.
KI erkennt typische Gesichtszüge bei bestimmten Erkrankungen
Das internationale Forscherteam um Professor Peter Krawitz vom Institut für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn (UKB) nutzte die Daten von 679 Patienten mit 105 verschiedenen Erkrankungen, die durch die Veränderung an einem einzigen Gen ausgelöst werden. Dazu zählte auch die Mukopolysaccharidose (MPS), bei der es unter anderem zu Knochenverformungen, zur Minderung der geistigen Fähigkeiten und Kleinwuchs kommt. Das Mabry-Syndrom führt ebenfalls zu einer mentalen Entwicklungsverzögerung.
All diesen Erkrankungen ist gemeinsam, dass die Gesichtszüge der Betroffenen Auffälligkeiten aufzeigen. Besonders charakteristisch ist dies beispielsweise beim Kabuki-Syndrom, das an die Schminke einer traditionellen japanischen Form des Theaters erinnert. Die Augenbrauen setzen hoch an, der Augenabstand ist weit und die Lidspalten sind lang.
Hoffnung auf schnellere Diagnosen
Die eingesetzte Software kann diese Besonderheiten im Erscheinungsbild automatisch aus einem Foto herauslesen. Zusammen mit den klinischen Symptomen der Patienten und Erbgutdaten lässt sich mit hoher Treffsicherheit berechnen, um welche Erkrankung es sich handelt. Vorher war das Computer-Programm mit rund 30.000 Porträtbildern von Menschen „trainiert“ worden, die von seltenen syndromalen Erkrankungen betroffen sind. „In Kombination mit der Gesichtsanalyse lassen sich die entscheidenden genetischen Faktoren herausfiltern und Gene priorisieren“, so Krawitz. „Die Zusammenführung der Daten im neuronalen Netzwerk reduziert die Zeit der Datenanalyse und führt zu einer höheren Diagnosequote.“
„Die Patienten wünschen sich eine zeitnahe und korrekte Diagnosestellung. Künstliche Intelligenz unterstützt Ärzte und Wissenschaftler darin, den Weg zu verkürzen“, kommentierte Dr. Christine Mundlos, stellvertretende Geschäftsführerin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V. „Damit wird auch ein stückweit die Lebensqualität der Betroffenen verbessert.“ Die Ergebnisse der aktuellen Studie wurden im Journal „Genetics in Medicine” vorgestellt.
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