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Künstliche Gelenke: Patienten werden immer jünger

Dienstag, 26. Juli 2022 – Autor:
Krankenhäusern wird nachgesagt, Patienten zu Operationen zu raten, weil sie lukrativ sind. Ein SWR-Fernsehmagazin berichtet jetzt: Immer öfter verlangen schon jüngere Arthrose-Patienten regelrecht nach künstlichen Gelenken – weil sie an die schnelle Lösung glauben.
Ärztin erklärt Arthrose an einem Modell des menschlichen Knies.

Künstliches Kniegelenk: ein diffiziler Eingriff, bei dem Pro und Contra mit Bedacht gegeneinander abgewogen sein wollen. – Foto: AdobeStock/Success Media

Aktuelle Studien zeigen, die Zahl jüngerer Menschen mit künstlichen Gelenken wächst. Als mögliche Erklärungen dafür kommen infrage: Gelenksverschleiß infolge von exzessivem Sport, zunehmende rheumatische Erkrankungen, vermehrtes Übergewicht. Oder dass Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen Patienten zu Operationen raten – schließlich sind die Fallpauschalen für OPs eine lukrative Einnahmequelle. Das SWR-Politik-Magazin „Zur Sache Rheinland-Pfalz“ berichtet jetzt von einem so fatalen wie überraschenden Trend: Jüngere Patienten verlangen offenbar aus Zeitmangel und Ungeduld immer öfter nach der Knieprothese – im Glauben, der Körper ließe sich so einfach reparieren wie ein Auto.

Auch mit OP „ganz langer Heilungsverlauf“

„Manche Patienten wollen von sich aus lieber eine OP“, berichtet der Mannheimer Physiotherapeut Matthias Schüler in dem SWR-Magazin. „Denn gerade junge Patienten sind teils nicht bereit, monatelang es mit Physiotherapie, Medikamenten oder mit Abnehmen zu versuchen.“ Der Physiotherapeut kreidet zumindest bestimmten Ärzten oder Kliniken an, diesen Trend aus wirtschaftlichen Motiven zu forcieren oder zumindest bereitwillig hinzunehmen und über nicht-operative Therapiemöglichkeiten zu wenig zu informieren. Matthias Schüler wörtlich: „Es wird suggeriert: Ich mache kurz ‘ne Operation. Da bin ich gleich wieder in meinem Alltag drin. Aber das ist de facto absolut falsch.“ Auch nach dem – schnellen – Einbau eines künstlichen Gelenks habe der Patient „einen ganz langen Heilungsverlauf“.

Arthrose: Vergütung für Operationen steigt, für Physiotherapie nicht

Eine Ursache für einen verfrühten oder vielleicht nicht unbedingt erforderlichen Einsatz von künstlichen Knie- und Hüftgelenken sieht der Ludwigshafener Schmerzmediziner Jakob Emrich auch im aktuellen Vergütungssystem, das die operative Behandlung für Kliniken und die Ärzte interessanter mache, obwohl sie Solidargemeinschaft und Krankenkassen mehr Geld koste. „Mit OPs lässt sich sehr gut Geld verdienen, auch wegen der Fallpauschalen, die ein Krankenhaus für eine Behandlung bekommt“, sagt Emrich im SWR. Diese seien in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gestiegen – nicht aber die Erlöse für eine konservative Behandlung wie zum Beispiel Physiotherapie.

„Konservative Behandlung“ kann OP hinauszögern oder verhindern

Dem Bericht zufolge kann eine Operation bei fortgeschrittenem Gelenksverschleiß an Knie oder Hüfte besonders für Ältere Patienten oft die bessere oder einzige Lösung sein. Umgekehrt wird in der Magazinsendung von einem Patienten berichtet, der seit 20 Jahren mit Arthrose ohne größeren Verlust an Lebensqualität leben kann – allein mithilfe nicht-operativer Behandlungsverfahren. Die im Fachjargon als „konservative Therapie“ bezeichnete Strategie kann demnach eine OP hinauszögern, wenn nicht sogar überflüssig machen. Seit 2021 gibt es beispielsweise für Kniearthrose eine neue und verbindliche Behandlungsleitlinie, die klar regelt, wann und für wen eine Operation angezeigt ist – oder nicht.

„Ein Kunstgelenk einzusetzen, ist immer mit Risiken verbunden“

In dem SWR-Beitrag warnen Mediziner jüngere Patienten mit Gelenksproblemen ausdrücklich davor, sich naiv auf eine Operation einzulassen oder sie gar bei den behandelnden Ärzten einzufordern. „Die konventionelle Therapie sollte immer vor der OP stehen“, wird Johannes Stöve zitiert, Chefarzt für Orthopädie am Marienkrankenhaus Ludwigshafen. „Ein Kunstgelenk einzusetzen, ist immer mit Risiken verbunden“, sagt der Orthopäde, der selbst schon rund 15.000 solcher Gelenke eingesetzt hat. „Es kann sich lockern, sich entzünden, kann vereitern – und das möchte man nicht.“ In solchen Fällen kann es passieren, dass zeitnah erneut operiert werden muss, um diese Komplikationen zu beseitigen.

Prothesen halten 15 Jahre – und müssen dann erneut werden

Eine Prothese hält im Schnitt etwa 15 Jahre – dann muss sie gewechselt werden. Laut Experten stellt dies ein zusätzliches Risiko dar – und sei ein weiterer Grund dafür, warum man mit künstlichen Gelenken bei jüngeren Patienten sehr vorsichtig sein sollte.

Hauptkategorie: Medizin
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