Kreuzreaktion: Früherer Kontakt mit anderen Coronaviren schützt offenbar doch nicht vor COVID-19

Blutuntersuchungen zeigen: Gedächtniszellen die sich an andere Coronaviren erinnern, können SARS-COV-2 nicht effektiv bekämpfen. Die Hypthese von der Kreuzreaktion scheint widerlegt – Foto: ©Yakobchuk Olena - stock.adobe.com
Warum verläuft bei vielen Menschen eine Infektion mit SARS-COV-2 so mild? Und bei anderen so schwer? Eine Hypothese war daher, dass frühere Kontakte mit anderen Coronaviren zu einem besseren Immunschutz auch vor einer SARS-CoV-2-Infektion beitragen könnten. Man nennt das auch Kreuzreaktion. Diese Annahme scheint sich nun zu zerschlagen, wie Untersuchungen Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) aus Kiel nahelegen.
Gedächtniszellen erkennen das neuartige Coronavirus, bekämpfen es aber nicht
Die Forscher konnten zwar zeigen, dass früher Infektionen mit harmlosen Corona-Erkältungsviren – davon gibt es vier – tatsächlich bestimmte Immunzellen beim Menschen hinterlassen. Diese sogenannten T-Gedächtniszellen können SARS-CoV-2 auch als Fremdkörper erkennen, jedoch binden sie so schwach an das neue Virus, dass eine SARS-CoV-2-Infektion nicht ausreichend bekämpft werden kann. Schlimmer noch: In einigen Fällen können die Gedächtniszellen sogar eher zu einem schweren Krankheitsverlauf beitragen, berichten die Forscher im Fachjournal Immunity.
In der Studie hatten das Team um die beiden Professoren Petra Bacher und Alexander Scheffold vom Institut für Immunologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und weitere Partner das Blut von Spendern untersucht, die bisher keinen Kontakt zu SARS-CoV-2 hatten. Unter den Immunzellen fanden sie tatsächlich jene Gedächtniszellen, die auch SARS-CoV-2 als einen Fremdkörper erkennen. Allerdings hatten jüngere Menschen, die häufiger an gewöhnlichen Erkältungen erkranken, entgegen der Erwartung keine größere Anzahl dieser Zellen. Außerdem reagiert nur ein kleiner Teil dieser Zellen auch mit den Corona-Erkältungsviren.
Immunologisches Alter scheint eine Rolle zu spielen
„Die Gedächtniszellen haben also offenbar wenig mit früheren Kontakten zu Corona-Erkältungsviren zu tun“, sagt Alexander Scheffold. „Es scheint eher so zu sein, dass im Laufe des Lebens das Repertoire an Gedächtniszellen gegen viele verschiedene Krankheitserreger wächst und dadurch auch die Wahrscheinlichkeit, dass darunter auch welche sind, die SARS-CoV-2 zufällig erkennen. Dieses Gedächtniszell-Repertoire, das sich mit jeder Infektion vergrößert, kann man daher auch als „immunologisches Alter“ bezeichnen, das auch tatsächlich mit dem biologischen Alter zunimmt“, so Scheffold weiter.
Obwohl diese Gedächtniszellen in jedem erwachsenen Menschen vorhanden sind, sind sie offensichtlich nicht an der Abwehr einer SARS-CoV-2-Infektion beteiligt. Das liegt vermutlich an ihrer Qualität: „Diese T-Gedächtniszellen erkennen zwar SARS-CoV-2-Viren, allerdings machen sie das nicht besonders gut. Dadurch sind sie wahrscheinlich nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass das Virus erfolgreich bekämpft wird“, erklärt die Erstautorin Petra Bacher. Denn tatsächlich fand das Forschungsteam in COVID-19-Erkrankten mit mildem Verlauf vor allem T-Zellen, die das Virus sehr gut erkennen. „Hier könnte eine Immunreaktion ausgehend von naiven T-Zellen zugrunde liegen, das heißt, die T-Zellen, die hier die Immunreaktion gegen das Virus unterstützen, könnten aus naiven T-Zellen und nicht aus Gedächtniszellen entstanden sein“, erklärt Bacher.
Schwere Verläufe bei älteren Menschen werden erklärbar
Könnte dieser Fund also erklären, warum ältere Menschen besonders gefährdet für einen schweren COVID-19-Verlauf sind, die ja mehr Gedächtniszellen besitzen als jüngere? Denn interessanterweise konnten bei Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf die T-Zellen SARS-CoV-2 ähnlich schlecht erkennen, wie die bereits vorhandenen T-Gedächtniszellen. „Das könnte darauf hindeuten, dass diese Immunzellen bei den schweren COVID-Fällen von den schlecht bindenden prä-existierenden T-Gedächtniszellen abstammen“, betont Bacher. Dies könnte eine einfache Erklärung dafür liefern, warum ältere Menschen ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, vermutet die Immunologin. „Ältere Menschen haben vielfach auch ein höheres immunologisches Alter und damit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass das Immunsystem auf diese „inkompetenten“ prä-existierenden Gedächtniszellen zurückgreift“, so Bacher.
Fazit der Forscher: Die Arbeit zeigt, dass zurückliegende Erkältungen mit Coronaviren keinen effizienten Immunschutz vor SARS-CoV-2 bieten. Darüber hinaus liefert sie wichtige Hinweise darauf, dass das immunologische Alter möglicherweise einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf begünstigen könnte.
Foto: © Adobe Stock/ Yakobchuk Olena