Der flächendeckende Aufbau von klinischen Krebsregistern ist beschlossene Sache. Wozu ist der Aufwand eigentlich gut, Herr Dr. Bruns?
Bruns: In klinischen Krebsregistern werden alle anfallenden Daten zur Diagnose, Behandlung und Nachsorge von Krebserkrankungen erfasst, und zwar von allen Leistungsanbietern in der Versorgungskette. Dadurch können wir Therapien und deren Ergebnisse besser beurteilen. Außerdem zeigen sie Versorgungsunterschiede auf. Diese Transparenz ist zum einen für die Qualitätssicherung wichtig. Zum anderen helfen die Daten, Therapien zu optimieren. Von beidem werden die Patienten unmittelbar profitieren.
Bleiben wir zunächst bei der Qualitätssicherung. Sind die Krebsregister eine Art Kontrollinstrument nach dem Motto Klinik A hat alles gut gemacht, Klinik B nicht?
Bruns: Kontrolle ist der falsche Begriff. Es geht um Transparenz. Die Register geben den Kliniken und ambulanten Versorgungseinrichtungen eine Rückmeldung, wo sie im Vergleich zum Durchschnitt stehen, in welchen Bereichen sie vielleicht abweichen und ganz wichtig: woran eine eventuelle Abweichung liegt.
Ärzte und Kliniken bekommen so die Möglichkeit, nachzubessern?
Bruns: Oh ja. Nehmen Sie das Beispiel Darmkrebs. Da weiß man seit vielen Jahren aufgrund von Studien, dass im Stadium 3 eine adjuvante Chemotherapie zur Lebenszeitverlängerung führt, deshalb wird sie auch in der entsprechenden Leitlinie empfohlen. Entdeckt man jetzt, dass eine Klinik nur 20 Prozent ihrer Patienten nach diesem Standard versorgt und spiegelt ihr diese Information zurück, dann gehen innerhalb kürzester Zeit die Zahlen nach oben. Und zwar ohne, dass jemand den Zeigefinger erhebt. Daran sehen Sie, dass Krebsregister auch ein Instrument zur Wissensverbreitung sind. Das ist in Anbetracht der Fülle an neuem Wissen ein ganz wichtiger Aspekt.
Ärzte können aus Krebsregistern lernen. Welchen Erkenntnisgewinn offenbaren die Krebsregister noch?
Bruns: Krebsregister helfen nicht nur die Versorgungsqualität, wie etwa Umsetzung der Leitlinien, besser zu beurteilen. Sie liefern auch entscheidende Informationen über Therapieverläufe, Nebenwirkungen und Überlebenszeiten.
Entscheidende Informationen, die zur Therapieoptimierung genutzt werden können?
Bruns: Therapieoptimierung ist ein ganz wichtiges Ziel der Krebsregister. Gerade in der Onkologie können viele Patienten oft gar nicht nach dem Standard behandelt werden, weil es etwa zu ihrer Altersgruppe oder ihrer speziellen Tumorlokalisation keine entsprechende Studienlage gibt. Für diese Patienten müssen die Therapien angepasst werden. Die Ergebnisse dieser Anpassungen bekommen wir nur über die Versorgungsforschung, also die Krebsregister heraus. Und die daraus gewonnenen Erkenntnisse können wir wiederum nutzen, um neue Standards zu definieren.
Das heißt, Erkenntnisse aus den Krebsregistern fließen in die Leitlinien mit ein?
Bruns: Auch. Wir haben auf der einen Seite die klinischen Studien, die bestimmte Fragestellungen aufgreifen und auf der anderen die Krebsregister, die die reale Versorgung abbilden. Aus dieser Verbindung wird dann der Therapiestandard überprüft und gegebenenfalls neu definiert.
Krebsregister sind ja keine neue Erfindung. In einigen Bundesländern gibt es sie bereits. Wer muss jetzt nacharbeiten?
Bruns: Für die Neuen Bundesländer und Bayern wird sich nicht viel ändern, da gibt es bereits sehr gute Register. In den übrigen westdeutschen Bundesländern werden die Krebsregister jetzt aufgebaut.
Die Kosten dafür übernehmen die Länder.
Bruns: Für den Aufbau ja, allerdings hat hier die Deutsche Krebshilfe im Dezember eine Subventionsfinanzierung von über sieben Millionen Euro zugesagt, so dass sie rund 90 Prozent der Kosten übernimmt - wohlgemerkt nur für den Aufbau. Den Betrieb der Krebsregister müssen die Krankenkassen mit rund 70 Millionen Euro pro Jahr finanzieren.
Es wurde ja kritisiert, dass es nicht ein nationales Krebsregister gibt, sondern 16 verschiedene.
Bruns: Ein nationales Krebsregister war in der politischen Diskussion. Man hat sich aber dann dagegen entschieden. Bei der Unmenge an Daten ist es für den Qualitätssicherungsaspekt eher schlecht, nur eine Zentrale zu haben. Da ist es viel wichtiger, dass es pro Bundesland eine verantwortliche Stelle gibt, die den Leistungserbringern ihre Daten zurückspielt und mit ihnen kommuniziert. Was zählt ist, dass es einheitliche Krebsregister sind, die eine Vergleichbarkeit der Daten ermöglichen.
Eine bundesweite Betrachtung ist also auch möglich?
Bruns: Klar. Wenn sich beispielsweise die Charité mit dem Bundesdurchschnitt vergleichen will, dann ist das machbar. Dafür braucht man aber keine Zentrale, sondern eine gut funktionierenden Austausch der Krebsregister untereinander. Sehr wahrscheinlich wird es eine Arbeitsgruppe geben, die diese Prozesse moderiert.
Sie sagen, die Krebsregister dienen der Transparenz. Wird denn auch der Bürger die Daten einsehen können?
Bruns: Daran arbeiten wir. Die DKG bereitet derzeit zusammen mit Patientenorganisationen und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren die Lesbarkeit solcher Daten für Nicht-Experten vor. Außerdem schauen wir, welche Informationen die Patienten haben wollen und ob die Krebsregister diese Fragen überhaupt beantworten können.
Wann wird der Aufbau der Krebsregister abgeschlossen sein?
Bruns: Zunächst muss das Krebsfrüherkennungs- und Krebsregistergesetz noch den Bundesrat passieren, so dass es am 1. April rechtskräftig werden kann. Erst danach geht der Aufbau der Krebsregister los. Heute haben wir über die vorhandenen Krebsregister etwa 35 Prozent der Bevölkerung abgedeckt. In drei Jahren werden es wahrscheinlich 80 Prozent sein. Ich schätze, dass wir in vier Jahren sagen können: Jetzt haben wir vollständige Daten.