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Krank vor Langeweile

Dienstag, 1. Juni 2010 – Autor:
Interview mit Dr. Ingrid Munk, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Vivantes Klinikum Neukölln
Dr. Ingrid Munk

Dr. Ingrid Munk

Frau Dr. Munk, Burn-out kennt jeder. Das Bore-out-Syndrom ist weniger bekannt. Da werden Menschen krank vor Langeweile. Wie passt das zusammen?

Munk: Die Frage ist nur zu berechtigt. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Menschen mit Burn-out ausgebrannt von zu viel Arbeit sind. Bei Bore-out hiesse das entsprechend, dass sie ausgebrannt durch zu wenig Arbeit sind.

Ist das nicht so?

Munk: Bei Beschäftigten, die über Bore-out klagen, zeigt sich , dass es meist nur untergeordnet um das Quantum an Arbeit geht, sondern um Unterforderung; darum, von einer langweiligen Routine zermürbt zu werden, darum, die eigenen Kompetenzen nicht umsetzen zu können. Damit einhergeht, und das ist oft noch bedeutsamer, eine dauernde Kränkung und Enttäuschung darüber, dass die eigenen Fähigkeiten und Potenziale von anderen, in der Regel von den Vorgesetzten, übersehen werden.

Wenn Menschen, wie Sie sagen, dauerhaft von einer langweiligen Routine zermürbt werden, was macht das mit ihnen? Welche Symptome haben sie?

Munk: Auch wenn die Entstehungsbedingungen unterschiedlich sind, ist die Endstrecke, wenn es bereits zu einer Symptombildung gekommen ist, bei Burn-out- und Bore-out-Syndromen gleich. Es zeigt sich eine ausgeprägte körperliche und psychische Erschöpfung, von der sich der Betroffene nicht mehr erholen kann, verbunden mit einem Gefühl von Frustration. Hinzukommen häufig Abstumpfung, Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Kunden, Patienten und/oder Kollegen sowie auch Gereiztheit und Zynismus.

Erkennen die Patienten eigentlich die Ursache ihres Erschöpfungszustandes?

Munk: Wenn Patienten darüber klagen, sprechen sie in der Regel nicht von Langeweile, sondern von der mangelnden Würdigung und Anerkennung ihrer Fähigkeiten oder davon, dass sie keinen Spielraum für eigene Entscheidungen und Gestaltungsmöglichkeiten haben, oder von einer ermüdenden, inhaltsleeren Tätigkeit erschöpft werden. Hier ergibt sich dann eine Brücke zum Burn-out-Erleben: Im Laufe der Zeit nehmen die Betroffenen ihr Engagement zurück, machen "Dienst nach Vorschrift", schalten "auf Durchzug", entwickeln Gleichgültigkeit und Indifferenz gegenüber ihren Aufgaben; die Arbeit ist kein Platz von Verwirklichung und Selbstbestätigung mehr.

Welche Berufsgruppen sind besonders gefährdet?

Munk: Menschen, die in hierarchisch organisierten Betrieben in mittleren Positionen arbeiten, die aber aufgrund z. B. gesetzlicher Vorgaben keinen Aufstieg in die einflussreichere Position machen können, sind häufig von Bore-out betroffen.

Es betrifft also am ehesten Beschäftigte in für sie nicht durchlässigen Hierarchien?

Munk: Ja, aber nicht nur. Ein weiterer Bereich betrifft Berufe mit vorrangig Kontrollfunktionen, bei denen die Routine darin besteht, den Status quo festzuhalten und zu überprüfen, ohne dass Wichtigkeit und Sinn dieser Tätigkeit vom Betreffenden selbst und der Umgebung erkannt werden, ja diese sogar abschätzig oder genervt reagiert.

Wie viele Menschen sind von Bore-Out betroffen und sind es mehr Männer oder mehr Frauen?

Munk: Darüber gibt es meines Wissens keine Daten, und ich will nicht spekulieren.

Welche Tipps können Sie Menschen geben, bei denen sich erste Bore-out-Anzeichen bemerkbar machen?

Munk: Ich rate den Betroffenen zunächst, zu prüfen, ob ein Gespräch mit Arbeitskollegen und dann auch mit dem Vorgesetzten erfolgsversprechend sein könnte. In der Regel sind Vorgesetzte dankbar für Hinweise, dass Mitarbeiter mehr wollen und können. Die Betroffenen sollten sich aber unbedingt vorher mit Vertrauten absprechen, wie sie ihre Wünsche formulieren, die ja in jedem Einzelfall anders gelagert sind. Eine Möglichkeit ist auch, den Betriebsarzt anzusprechen. Betriebsärzte sind zunehmend auch für solche Themen offen.

Sicher ist nicht jedes Unternehmen in der Lage, das Problem für den betroffenen Mitarbeiter befriedigend zu lösen. Was dann?

Munk: Wenn das alles nichts hilft, sollten die Betroffenen überlegen, ob sie sich nicht um einen anderen Arbeitsplatz bemühen, wo ihre Fähigkeiten wirklich gebraucht und auch eingesetzt werden. Motivierte und qualifizierte Mitarbeiter werden durchaus gesucht.

Was ist, wenn die Menschen bereits krank geworden sind?

Munk: Wenn sich schon anhaltende Symptome zeigen und die Erschöpfung und emotionale Gleichgültigkeit oder Gereiztheit auch ausserhalb des Arbeitsfeldes auftreten, wenn es zu anhaltenden Schlafstörungen, Angstzuständen, depressiven Verstimmungen oder zu psychosomatischen Störungen kommt, ist es sinnvoll, den Hausarzt, einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einen niedergelassenen Psychotherapeuten aufzusuchen, die dann auch Kontakt zu unserer Klinik herstellen, wenn dies erforderlich sein sollte.

Wie holen Sie die Menschen da wieder raus?

Munk: Es ist ein individuell auf den Patienten abgestimmtes Therapieprogramm mit einer Kombination von psychotherapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen, Kreativtherapie, Musiktherapie und /oder Bewegungstherapie, Klärung der Arbeitsplatzsituation mit sozialarbeiterischer Unterstützung und eventuell mit begleitenden Familien- oder Partnergesprächen sinnvoll. Vorübergehend kann auch der Einsatz von Medikamenten hilfreich sein. Ziel ist immer, die Autonomie und Handlungsfähigkeit des Patienten wiederherzustellen, damit er seine Lebensgestaltung und -planung wieder in die Hand nehmen kann.

Hauptkategorie: Medizin

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