
Der Klimawandel könnte Heilpflanzen wie dem amerikanischen Ginseng bald den Garaus bereiten – Foto: ©leungchopan - stock.adobe.com
Der Klimawandel gefährdet Arzneipflanzen, warnen Wissenschaftler. Dazu zählen zum Beispiel Ginseng und Weihrauch, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Appell. Sie stehen beispielhaft für eine sich abzeichnende weltweite Entwicklung: das Zurückdrängen und Aussterben von Arzneipflanzen.
Wendy L. Applequist und ihre Co-Autoren beschreiben in ihrem Aufruf "Scientists' Warning on Climate Change and Medicinal Plants" die schädlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Heilpflanzen. Der Appell wurde kürzlich in Planta Medica veröffentlicht und von vielen weiteren Wissenschaftlern unterzeichnet.
Temperaturanstieg, Dürre, Starkregen, Überernten
In den meisten Entwicklungsländern sind Arzneipflanzen die Hauptmedikamente für 70 bis 95 Prozent der Bevölkerung und auch in Industrienationen nimmt ihre Verwendung zu. Jährlich werden weltweit pflanzliche Inhaltsstoffe für medizinische Anwendungen im Wert von schätzungsweise 33 Milliarden US-Dollar exportiert.
Doch diese Heilpflanzen sind bedroht. Die Autoren des Aufrufs zeigen eine Reihe von Risiken auf, die direkt oder indirekt mit dem Klimawandel in Verbindung stehen: Temperaturanstiege, Dürren und Starkregen, der Anstieg von Kohlendioxid in der Luft und die zunehmende Verbreitung von Schädlingen und Krankheitserregern. Zu den direkten Gefahren gehört auch das Überernten.
Klimawandel gefährdet Arzneipflanzen besonders in Alpinregionen
Klimawandel und Überernten gefährdet den Bestand von Arzneipflanzen und können sie bis zum Aussterben reduzieren. Verbliebene Pflanzen wachsen schlechter und sind von geringerer Qualität. Besonders Letzteres ist für die Forscher Grund zur Sorge, da die Pflanzen ihre medizinische Wirkung ändern oder sogar ganz verlieren können.
Die Bevölkerungen, die voraussichtlich am meisten unter diesen Auswirkungen leiden werden, sind kleinere Volksgruppen und indigene Stämme. Die am stärksten gefährdeten Pflanzen wachsen in alpinen Regionen und in nördlichen Breitengraden. Wenn sich das Klima in ihren angestammten Lebensräumen verändert, versuchen sich die Pflanzen anzupassen oder in benachbarte Lebensräume zu wandern. Nach Ansicht der Autoren sind einige Pflanzen dazu womöglich nicht in der Lage oder schaffen es nicht rechtzeitig, sich in einem neuen Lebensraum anzusiedeln.
Amerikanischer Ginseng bald ausgestorben
Autoren zitieren beispielsweise eine Studie, die den vollständigen Verlust des Lebensraums von Tylophora hirsuta in einigen Gebieten Pakistans voraussagt. Die Pflanze wird zur Behandlung von Asthma und Harnwegserkrankungen eingesetzt. In einer anderen Studie werden für Boswellia, die Quelle von Weihrauchharz, vielfältige Gefahren aufgezeigt: wachsende Agrarbetriebe, Raubbau unter anderem durch Feuer, Holzkäferbefall und Verfütterung an Nutztiere.
Wirken Überernten und Klimawandel zusammen, wächst die Bedrohung exponentiell. Amerikanischer Ginseng stirbt mit einer Wahrscheinlichkeit von acht Prozent in den nächsten 70 Jahren aus, wenn er weiter so geerntet wird wie heute. Ein Aussterben des Ginsengs durch Folgen des Klimawandels wird in einer weiteren zitierten Studie mit sechs Prozent beziffert. Wenn beide Effekte zusammenkommen, steigt das Risiko auf 65 Prozent.
Arzneipflanzen: Saatenbank anlegen
Versagt die Menschheit weiterhin bei der nachhaltigen Bekämpfung des Klimawandels, empfehlen die Autoren, Arzneipflanzen vermehrt in Gemeinschaftsgärten anzubauen, um den lokalen Zugang zu erhalten. Bauern sollten zeitnah in der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wiesen und Felder und in der Überwachung der Pflanzenqualität geschult werden. Einen letzten Ausweg sehen die Forscher in der vom Menschen unterstützten Migration der Pflanzen in neue Lebensräume und im Anlegen einer standortunabhängigen Saatenbank.
Der Aufruf der Autoren steht in der Tradition der 1992 und 2017 veröffentlichten "World Scientists' Warning to Humanity" und einigen weiteren Studien, die die Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Aspekte des menschlichen Lebens aufzeigen.
Foto: leungchopan/Adobe.com