Im Mittelpunkt des vom Springer Medizin Verlag und dem Deutschen Pflegerat organisierten Pflegekongresses, der am 27. und 28. Januar in Berlin stattfand, standen die wenige Tage vorher von Bundesgesundheitsminister Bahr verkündeten Pflegereformpläne. Die meisten Redner und grosse Teile des Publikums waren der Meinung, dass die Pläne nicht weit genug gingen und zudem viel zu spät kämen. Mit scharfen Worten attackierte der Präsident des Deutschen Pflegerates Andreas Westerfellhaus die Politik. Beim letztjährigen Kongress zum Start des Jahres der Pflege und nach Ankündigungen der Politik zu einschneidenden Veränderungen sei er noch recht optimistisch gewesen. "Was folgte, war Ernüchterung und Frustration." Es sei zwar positiv zu werten, dass das Thema Pflege in den Medien und bei der Bevölkerung an Aufmerksamkeit gewonnen habe, die Politik aber mache viel zu wenig. Unter grossem Beifall des Publikums, das zu weiten Teilen aus Pflegekräften bestand, rief Westerfellhaus aus: "Es reicht! Ab jetzt zählen nur noch Taten und Ergebnisse!"
Der Hauptkritikpunkt vieler Kongressteilnehmer war, dass zu wenig gegen den Fachkräftemangel getan werde. In den letzten Jahren sind Tausende von Pflegestellen in den Krankenhäusern abgebaut worden. Allerdings war man sich uneinig, wie viele Pflegekräfte nun wirklich fehlen, denn hierzu kursieren höchst unterschiedliche Zahlen. Eine Schwierigkeit, exakte Zahlen vorzulegen, liegt darin begründet, dass es neben dem Stellenabbau in Krankenhäusern eine Verschiebung der Pflege vom stationären in den ambulanten Bereich gegeben hat. Zudem, so erklärte die Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums Annette Widmann-Mauz, sind durch das Pflegestellen-Förderprogramm der Bundesregierung im letzten Jahr auch wieder neue Stellen geschaffen worden, deren tatsächliche Zahl allerdings noch nicht angegeben werden kann. Widmann-Mauz betonte ausserdem, dass für den erhöhten Pflegeaufwand in Krankenhäusern Zusatzentgelte beschlossen worden seien. Dennoch räumte sie ein, dass die Investitionen häufig hinter dem zurückblieben, "was der gesetzliche Auftrag und die gesetzliche Verantwortung" seien.
Ein weiterer Anlass für Kritik war das neue Berufsgesetz, das noch in Arbeit ist und das die Bestimmungen zur Ausbildung in Pflegeberufen neu ordnen soll. Während ein EU-Kommissionsvorschlag eine einheitliche Regelung vorsieht, in der eine Schulzeit von zwölf Jahren Voraussetzung für die Krankenpflege-Ausbildung sein soll, will die Bundesregierung an der geforderten Schulzeit von zehn Jahren festhalten, da der Fachkräftemangel sonst noch verstärkt werde. Demgegenüber erklärte Prof. Dr. Frank Weidner, Direktor und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung, dass sowohl die Studien als auch Erfahrungen in anderen Ländern zeigten, dass die Anhebung der Qualifikationsanforderungen nicht zum Fachkräftemangel beitrage, sondern ihn mittel- und langfristig sogar beheben könne.
In einem waren sich die Teilnehmer des diesjährigen Pflegekongresses einig: Die Pflege in Deutschland muss gestärkt werden - finanziell, organisatorisch und in ihrer gesellschaftlichen und politischen Anerkennung.