Kinderdemenz erstmals behandelbar
Kinderdemenz ist so selten wie tragisch. Eine sehr häufige Form ist die spätinfantile Neuronale Ceroid Lipofuszinose – kurz CLN2, die durch einen Mangel des Enzyms Tripeptidyl-Peptidase-1 (TPP1) gekennzeichnet ist. Die Krankheit macht sich zunächst durch eine verzögerte Sprachentwicklung bemerkbar und führt in der Regel ab dem dritten Lebensjahr zu schweren epileptischen Anfällen und einem Abbau der Sprachfunktionen und Motorik. Später werden die Kinder bettlägerig, erblinden und versterben in der Regel früh. Eine Therapie gab es bislang nicht.
Krankheitsverlauf aufgehalten
Hoffnung macht nun eine neuartige Enzymersatztherapie, die am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) entwickelt wurde. Ergebnisse einer internationalen Studie zeigen, dass die Therapie wirksam ist: Bei rund zwei Drittel der kleinen Patienten konnte der Krankheitsverlauf vollständig aufgehalten werden, bei den anderen Probanden wurde das Krankheitsgeschehen zumindest günstig beeinflusst, wie die Autoren jetzt im "New England Journal of Medicine" berichten.
„Bislang stand für die Betreuung von CLN2-Patienten nur die palliative Versorgung zur Verfügung“, sagt Prof. Dr. Ania C. Muntau, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE. Durch die Zulassung einer von Ärzten des UKE erforschten Enzymersatztherapie habe sich dies nun grundlegend geändert. „Die Studie hat gezeigt, dass durch diese Therapie erstmalig ein Mittel gegen das rasante Fortschreiten der Krankheit entwickelt worden ist“, so Muntau.
Die neue Therapie namens Cerliponase alfa basiert auf einem synthetisch hergestellten Enzym. Alle 14 Tage wird es über einen Katheter direkt in den Liquorraum des Gehirns der Patienten eingebracht. Dadurch wird offenbar verhindert, dass sich in den Gehirnzellen das wachsartige Speichermaterial Ceroid Lipofuscin ablagern kann und die Gehirnzellen schließlich ihre Funktion verlieren.
Studie mit 24 CLN2-Patienten
In die internationale, multizentrische Studie waren 24 CLN2-Patienten im Alter von drei bis acht Jahren eingeschlossen. Die Studienteilnehmer erhielten über mindestens 96 Wochen alle 14 Tage eine Enzymersatztherapie mit Cerliponase alfa. Während der Behandlungsphase wurde der Verlauf der motorischen Funktionen sowie der Sprache mit Hilfe eines Punktesystems erfasst und der Krankheitsverlauf mit 42 ehemaligen Patienten, die keine Behandlung mit der Enzymersatztherapie erhalten hatten, verglichen. Die historischen Vergleichsdaten wurden zuvor im Rahmen des im UKE von Dr. Schulz koordinierten europäischen Forschungsrahmenprogramms (FP7) DEM-CHILD gesammelt und ausgewertet. Der Vergleich mit unbehandelten Kindern zeigte, dass sich die Symptome bei den Patienten, die eine Enzymersatztherapie erhalten haben, signifikant langsamer verschlechterten als bei den historischen Patienten: Behandelte Patienten verloren im Durchschnitt nur 0,38 Punkte pro Jahr, unbehandelte Patienten 2,0 Punkte pro Jahr.
Früher Therapiebeginn wichtig
Je früher mit der Therapie begonnen werde, umso größer seien die Erfolgsaussichten, dass die erkrankten Kinder länger sprechen und sich eigenständig bewegen können, sagt Dr. Angela Schulz, Leiterin der internationalen Studie sowie der Sprechstunde für Degenerative Gehirnkrankheiten (Schwerpunkt „Kinderdemenz NCL“) der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE. „Doch die Erkrankung wird oft zu spät erkannt, weil sie sehr selten ist.“ Die Kinderärztin plädiert darum für ein Neugeborenenscreenings auf CLN2.
Foto: UKE