Jeder vierte vermutete Behandlungsfehler wurde bestätigt

In jedem vierten untersuchten Fall bestätigte sich ein Behandlungsfehler – Foto: ©sudok1 - stock.adobe.com
Im Auftrag der Krankenkassen hat der Medizinische Dienst im Jahr 2019 insgesamt 14.553 medizinische Sachverständigen-Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem vierten Fall wurde ein Fehler bestätigt. Die entsprechende Jahresstatistik des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) wurde jetzt in Berlin vorgestellt.
Die Anzahl der Gutachten ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen In jedem vierten Fall (3.688) wiesen die Gutachter einen Fehler nach. In jedem fünften Fall (2.953) bestätigte der Medizinische Dienst, dass der Fehler den erlittenen Schaden auch verursacht hat.
Die meisten Fehlervorwürfe bei der Orthopädie
Die Behandlungsfehlervorwürfe verteilen sich zu etwa einem Drittel auf den Bereich der ambulanten Versorgung und zu zwei Dritteln auf das Krankenhaus. Die Häufigkeit gutachterlich festgestellter Fehler im ambulanten und stationären Bereich unterscheidet sich kaum.
Die meisten Fehlervorwürfe werden nach wie vor in den operativen Fächern Orthopädie und Unfallchirurgie erhoben (32,1 Prozent). "Daraus sind aber keine Rückschlüsse auf die Sicherheit in den jeweiligen Bereichen möglich. Es ist vielmehr so, dass Patienten in diesen Fächern mögliche Fehler leichter erkennen können als in anderen", erläutert Dr. Stefan Gronemeyer, Leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des MDS.
Quote bestätigter Fehler in der Pflege sehr hoch
In konservativen Fachgebieten oder beispielsweise in der Intensivmedizin ist es für die Patienten oftmals schwieriger, Fehler zu erkennen. Daher werden Vorwürfe in diesen Bereichen vermutlich seltener, heißt es weiter in einer Pressemitteilung.
Auf der Liste der Fehler-Vorwürfe folgen Innere (11,1), Allgemein- und Viszeral-Chirurgie (9,4), Zahnmedizin (8,4), Gynäkologie und Geburtshilfe (8,3) und Pflege (4,7). Die Quote der bestätigten Fehler lag in Pflege sehr hoch (59,2 Prozent), bei der Augenheilkunde waren es immerhin noch 28,8 Prozent, bei der Orthopädie 28,7 Prozent.
Jeder vierte vermutete Behandlungsfehler wurde bestätigt
Mehr als 14.500 Fälle wurden untersucht, jeder vierte vermutete Behandlungsfehler wurde bestätigt. Aber: "Aus wissenschaftlichen Studien ist jedoch bekannt, dass die tatsächliche Anzahl vermeidbarer Schäden durch Behandlungsfehler wesentlich höher liegt, als es unsere Zahlen vermuten lassen. Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs", sagt Gronemeyer.
Die häufigste fehlerbehaftete Maßnahme war die Wurzelspitzenresektion und Wurzelkanalbehandlung eines Zahnes, gefolgt von der Implantation einer Hüftgelenksprothese und der Implantation einer Kniegelenksprothese.
2,9 Prozent der Patienten starben durch Behandlungsfehler
Einen vorübergehden Schaden (Intervention nötig) erlitten 28,4 Prozent der Betroffenen, 36,4 Prozent der Fehlbehandelten mussten ins Krankenhaus oder ihr Krankenhausaufenthalt verlängerte sich. Einen dauerhaften leichten Schaden trugen 12,2 Prozent davon, einen mittleren Schaden 10,4 Prozent und einen schweren Schaden 9,4 Prozent. Bei 1 Prozent waren lebensrettende Maßnahmen nötig, 2,9 Prozent der Fälle starben an dem Behandlungsfehler.
Sorge bereitet den Medizinischen Diensten die seit Jahren eine nahezu unveränderte Anzahl sogenannter Never Events in der Begutachtungsstatistik. Das sind schwerwiegende, prinzipiell vermeidbare Zwischenfälle, die nach dem Stand der Wissenschaft und bei entsprechenden Vorsorgemaßnahmen nie vorkommen sollten.
OP der falschen Seite oder falsche Medikation
Darunter sind Schadensereignisse wie die Operation der falschen Seite (Verwechslung), der falsche Eingriff (Verwechslung), das Belassen von Fremdkörpern im Körper nach einer OP, eine falsche Medikation und ein Dekubitus. Diese für Geschädigte wie Personal besonders folgenschweren und belastenden Fehler können mit vergleichsweise einfachen und bekannten Methoden wirksam reduziert werden.
"Die Schaffung einer nationalen Never-Event-Liste, verbunden mit einer anonymen Meldepflicht, hat sich in zahlreichen Ländern bewährt und sollte auch in Deutschland umgesetzt werden", sagt Gronemeyer.
Jeder Kassen-Patient kann ein MDK-Gutachten anfordern
Jeder Kassenpatient hat das Recht auf ein Gutachten des MDK. Ein spezielles Team prüft die Vorwürfe im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Die Gutachter gehen dabei der Frage nach, ob die Behandlung nach dem anerkannten medizinischen Standard und in aller Sorgfalt abgelaufen ist. Liegt ein Behandlungsfehler vor, wird außerdem geprüft, ob der Schaden, den der Versicherte erlitten hat, durch den Fehler verursacht worden ist. Nur dann sind Schadenersatzforderungen aussichtsreich.
Auf der Basis des MDK-Gutachtens können die Betroffenen entscheiden, welche weiteren Schritte sie unternehmen wollen. Versicherten entstehen durch die MDK-Begutachtung keine zusätzlichen Kosten.
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