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Infektionsexperten warnen vor „post-antibiotischer Ära”

Donnerstag, 16. November 2017 – Autor:
Immer mehr Menschen und Waren reisen um die Welt – und mit ihnen Krankheitserreger. Auch in Industrieländern sind scheinbar überwundene Infektionskrankheiten wieder auf dem Vormarsch. Ein Netzwerk deutscher Wissenschaftler warnt vor einer „post-antibiotischen Ära“, in der harmlose Krankheiten tödlich enden können, weil Antibiotika nicht mehr wirken, und fordert eine Intervention der Politik.
Antibiotika grüne Kapseln

Antibiotika retten Patienten vor Infektionskrankheiten - und provozieren Resistenzen bei Keimen. Diesem Dilemma wollen Forscher mit neuen Diagnostik- und Therapieverfahren begegnen. – Foto: tashatuvango - Fotolia

Tuberkulose klingt für viele nach einem Problem aus dem Geschichtsbuch. Doch gerade erst ist in Sachsen ein Mann daran gestorben. Und „TB“ ist offenbar nicht das einzige Problem. Bei Kindern registrieren die Gesundheitsämter wieder Keuchhusten. In Deutschland insgesamt hat das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) im noch laufenden Kalenderjahr 2017 mit mindestens 860 Betroffenen schon rund zweieinhalbmal so viele Fälle von Masern verbucht wie im gesamten Jahr zuvor. Überwunden oder kontrollierbar geglaubte Krankheiten kehren in Länder wie Deutschland zurück, warnen Infektionsexperten. Und sie gelten wieder als gefährlich, weil immer mehr Erreger mutieren und mit Antibiotika nicht mehr zu bekämpfen sind.

Wissenschaftler formieren sich unter Führung der Leibniz-Gemeinschaft 

„Es droht eine post-antibiotische Ära, in der vermeintlich harmlose Krankheiten tödlich enden können“: Ein Netzwerk führender wissenschaftlicher Einrichtungen unter der Führung der Leibniz-Gemeinschaft hat jetzt sogar die Politik dazu aufgerufen, auf die wachsende Bedrohung durch Multiresistente Erreger zu reagieren und Medizin und Wissenschaft deutlich stärker als bisher in ihrem Kampf gegen sie zu unterstützen. „Die Erforschung und Entwicklung schneller Diagnoseverfahren muss intensiv vorangetrieben werden“, lautet eine zentrale Forderung der Unterzeichner des Aufrufs. Zu ihnen zählen führende Wissenschaftler von Forschungseinrichtungen und -verbünden aus Medizin und Naturwissenschaft, darunter die Leibniz-Gemeinschaft, Universität und Uniklinikum Jena, die Leibniz-Institute für Photonische Technologien, für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie sowie für Medizin und Biowissenschaften und weiterer Forschungszentren und -verbünde.

„Medizin schießt mit Kanonen auf Spatzen“ – und beschleunigt Resistenzen noch

Das Problem: In gängigen Laborverfahren kann es bis zu 72 Stunden dauern, bis die Medizin  Informationen in der Qualität bekommt, die sie für eine spezifische und sorgsame Verordnung von Antibiotika bräuchte. Weil sich multiresistente Erreger immer weiter ausbreiten, bringt das Intensivmediziner in ein Dilemma: "Schwere Infektionen, die zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führen können, müssen wir viel zu oft 'blind' mit Breitspektrum-Antibiotika behandeln, da wir zunächst weder den Erreger noch eventuell vorhandene Resistenzen bestimmen können“, sagt Michael Bauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Uniklinikum Jena. „Daher schießen wir unter Umständen mit Kanonen auf Spatzen. Ein Teufelskreis, der das Entstehen neuer Resistenzen begünstigt".

Neue Therapie und Diagnostikverfahren: 14 Jahre vergehen bis zur Marktreife

In ihrem Aufruf empfiehlt das Wissenschaftler-Netzwerk der neuen Bundesregierung, die Infrastruktur für die Erforschung neuer Therapien und Diagnoseverfahren zu schaffen, mit dem Ziel, die Entwicklungszeit von der Grundlagenforschung bis zur Markteinführung deutlich zu beschleunigen. In Deutschland, so kritisieren die Wissenschaftler, vergingen im Schnitt 14 Jahre, bis aus innovativen Lösungsansätzen ein marktfähiges Produkt werde. Patienten, so heißt es weiter, profitierten nur mit großer Verzögerung von Forschungsergebnissen. "Diesen Zustand müssen wir dringend ändern", sagt der Wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (IPHT), Jürgen Popp. Seine Forderung: "Mit Unterstützung der Politik müssen Kompetenzen und Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen strukturell zusammengeführt und gemeinschaftlich konkrete Strategien zur Bekämpfung von Infektionen entwickelt werden."

Schnelldiagnostik mit Licht: Laborergebnis in drei Stunden – statt in drei Tagen

Dabei existiert bereits eine ganze Reihe von Ansätzen, die eine schnellere Diagnostik und in der Folge einen vorsichtigen und überlegten Einsatz von Antibiotika möglich machten. Beispiel: photonische Technologien –  Verfahren, die Licht als Werkzeug nutzen. Schnell und direkt, ohne vorherige, zeitaufwendige Kultivierung der Proben, lassen sich dem IPHT  zufolge Erreger und deren Resistenzen innerhalb von zwei bis drei Stunden bestimmen. So könne die die Intensivmedizin schnell und zugleich nachhaltig reagieren. „Photonische Verfahren haben das Potential, die Infektionsdiagnostik zu revolutionieren“, versprechen die Experten vom Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT). Als weitere neue Therapieansätze gelten: die Behandlung mit neuen Kombinationen vorhandener Wirkstoffe, der Einsatz von Nanopartikeln als Wirkstoffträger, Immunzell-basierte Therapien oder Therapieverfahren, die eine Resistenzbildung seitens der Mikroorganismen vermeiden oder zumindest verzögern.

Foto: © Alexander Raths - Fotolia.comoto:  

Hauptkategorie: Medizin
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