„In Sachen digitale Gesundheit ist Deutschland noch Entwicklungsland”
Dienstag, 16. Dezember 2014
– Autor:
Cornelia Wanke
Deutschland ist in Sachen Gesundheit IT Entwicklungsland. Und überall um Deutschland herum explodiert das Thema Digital Health. Das waren zwei der wichtigsten Erkenntnisse, die die Teilnehmer der Breakfast Session des DGIV-Bundeskongresses in Berlin mitnehmen konnten.
Alles digital? Davon kann das deutsche Gesundheitswesen nur träumen!
– Foto: ra2studio
Unter dem Motto „Next Generation Healthcare IT in der Integrierten Versorgung" diskutierten Experten beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen (DGIV) über die Zukunft der digitalen Gesundheit. Dabei werde man sich in Zukunft vor allem mit zwei Herausforderungen beschäftigen müssen, sagte Prof. Dr. Arno Elmer, Hauptgeschäftsführer der gematik: „Der Patient soll im Mittelpunkt stehen und eigenverantwortlich agieren und durch den Ausbau von Vernetzungslösungen wird die Qualität und Quantität von Daten massiv explodieren.“ Grundlegend ist seiner Meinung nach hierbei, wie die Fragestellungen zur Interoperabilität und zum Datenschutz/zur Datensicherheit gelöst werden können. Dr. Axel Wehmeier, Leiter des Konzerngeschäftsfelds Gesundheit der T-Systems, meinte, der Schwerpunkt im Bereich digitale Gesundheit sei von Anfang an falsch gesetzt worden: „Was ganz entscheidend auf dem Weg in die Digitalisierung ist, ist, dass wir in die Workflows kommen.“ Prozesse müssten digital begleitet und die Ärzte dabei mitgenommen werden. „Das Ganze kann nur Dynamik entfalten, wenn es von der Basis der Ärzteschaft getrieben wird“, so Wehmeier.
Schon wieder eine Insel? Ohne ganzheitliche Lösungen dümpelt das System vor sich hin!
Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK, betonte, dass es einer einzigen Plattform bedürfe, um diese Workflows zu organisieren. „Sonst erfindet jeder seine eigene Insellösung – und wir dümpeln weiterhin wie seit Jahren auf dem gleichen Stand herum.“ Dem pflichtete Prof. Dr. Heyo Krömer, Dekan der Medizinischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, bei: „Beispiel Arztbrief : Da gibt es noch nicht einmal hausinterne Lösungen – geschweige denn solche, die für mehrere Kliniken in gemeinsamer Trägerschaft gelten.“ Darüber hinaus betrachte man im deutschen Gesundheitswesen IT immer noch projektassoziiert: „Wir haben immer noch nicht verstanden, dass IT so grundlegend ist wie Wasser oder Strom und dauerhaft finanziert werden muss.“
„Der große Fehler, den Deutschland gemacht hat, ist, dass wir auf Wettbewerb vertraut haben, wo er gar nicht gefragt ist: in der Infrastruktur. Hier muss der Staat die „Schienen“ bauen – und welche Züge dann darauf fahren, das kann man dann dem Wettbewerb überlassen“, bestätigte Herbert Rebscher . Verbesserungspotenzial sahen alle Diskutanten auch in der Frage des Patientennutzens: „Was wir brauchen, ist ein gesellschaftlicher Dialog über den Nutzen und die Akzeptanz von digital Health in Deutschland“, sagte Arno Elmer. Man müsse sich darüber hinaus fragen, was der einzelne Patient davon habe, und wovon die gesamte Gesellschaft profitiere. „Akzeptanz kommt von Nutzen“, stimmte auch Dr. Joseph Bartmann von der Ärztekammer Schleswig-Holstein, ausgewiesener Experte in Sachen Telematik, zu: „Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch für den Patienten sinnvoll“, sagte der Arzt. Vielleicht sei es deshalb sinnvoll, den Fokus zuerst auf multimorbide Patienten zu legen: „Die Zahl der Menschen, die mehrere Erkrankungen haben, und von unterschiedlichen Ärzten betreut werden, wird zunehmen – hier brauchen wir jemanden, der koordiniert, welcher Patient welche Medikamente und Leistungen bekommt. Dafür braucht es aber Daten“, erklärte DAK-Chef Rebscher. Und deshalb brauche man die Infrastruktur. Auf die Frage, woher denn das Geld für solche Investitionen in eine Infrastruktur kommen soll, könne man getrost antworten, dass ja auch genug Geld für die elektronische Gesundheitskarte da war: „Wir haben eine Milliarde Euro für das teuerste Passbild der Welt ausgegeben – die Mittel sind also da“, so Rebscher.
Deutschland sucht den Impfpass – noch immer auf Papier und nicht als digitales Dokument!
Als Beispiel, auf welchem Stand Deutschland in der Gesundheits-IT sei, nannte Moderator Dr. Felix Cornelius, Vorsitzender des Verbandes digitale Gesundheit (VdigG), die Kampagne „Deutschland sucht dem Impfpass“: Da sieht man die Menschen in der Waschmaschine nach dem orangefarbenen Papierschein suchen. Der müsste eigentlich längst schon digitalisiert sein“, meinte er. Einig waren sich am Ende alle Diskutanten, dass Deutschland in Sachen IT noch mittelmäßig bis schlecht aufgestellt ist. „Aber das Schöne daran ist, dass man sich dann ja auch maximal verbessern kann“, schloss Moderator Cornelius das spannende Frühstücks-Gespräch.
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