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"Impfungen sind auch für Erwachsene wichtig"

Montag, 24. September 2012 – Autor: Anne Volkmann
Der Lungenspezialist Prof. Dr. Hartmut Lode über die Bedeutung von Impfungen für Erwachsene, die deutsche Impfmüdigkeit und unbegründete Vorbehalte gegen das Impfen
Prof. Dr. H. Lode

Prof. Dr. Hartmut Lode

Herr Professor Lode, in Deutschland herrscht Impfmüdigkeit. Kinder erhalten zwar meistens noch die empfohlenen Schutzimpfungen, doch Erwachsene nehmen selbst die empfohlenen Impfungen kaum in Anspruch. Wie sehen Sie die Situation? 

Lode: Das Thema Impfungen für Erwachsene ist in Deutschland tatsächlich viel zu wenig bekannt. Wir versuchen seit vielen Jahren, dies zu verbessern. In der Allgemeinbevölkerung herrscht jedoch die Idee, dass Impfen eigentlich nur etwas für die Zeit bis zum 11. oder 12. Lebensjahr ist. Danach lässt man sich vielleicht noch impfen, wenn man in die Tropen fährt. Einige Menschen nehmen als Erwachsene noch die Dreifachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis in Anspruch. Das ist es dann aber auch schon. Die beiden Schutzimpfungen, die mir als Infektiologen und Pneumologen sehr am Herzen liegen - die Impfung gegen Influenza und die gegen Pneumokokken -, werden hingegen sehr vernachlässigt.

Für die Grippeimpfung wird doch aber in vielen Arztpraxen geworben.

Lode: Dennoch könnte die Impfrate besser sein. Sie liegt in Deutschland bei etwa 40 bis 50 Prozent für die Gruppen, die aufgrund ihres Alters oder wegen Grunderkrankungen gegen Influenza geimpft werden sollten. Zum Vergleich: In den USA sind es zwischen 70 und 85 Prozent. Und bei den Pneumokokken - das sind die Bakterien, die mit Abstand am häufigsten eine Lungenentzündung hervorrufen - sieht die Situation noch viel schlechter aus. Hier liegt die Impfrate in Deutschland bei Personen über 60 Jahren bei viel zu niedrigen 15 Prozent - und das, obwohl man sich gegen Pneumokokken nur alle 5 Jahre impfen zu lassen braucht. In den USA sind es zwischen 60 bis 70 Prozent.

Wer sollte sich gegen Influenza und Pneumokokken impfen lassen?

Lode: Für Influenza empfiehlt die Ständige Impfkommission die Schutzimpfung für alle Personen ab 60 Jahren; wir Infektiologen raten bereits ab 50 Jahren dazu. Dasselbe gilt für die Pneumokokken. Das Risiko, eine Lungenentzündung zu bekommen, steigt bereits ab dem 45. bis 50. Lebensjahr an. Das ist darauf zurückzuführen, dass andere Grunderkrankungen zunehmen, die das Immunsystem schwächen, und dass das Immunsystem selbst altert. Auch die Europäische Zulassungsbehörde für Medikamente empfiehlt die Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken bereits ab dem 50. Lebensjahr.

Wie kommt es zu der Impfmüdigkeit bei Erwachsenen?

Lode: In der Bevölkerung und übrigens auch bei vielen Ärzten gibt es in diesem Land immer noch eine gewisse Skepsis gegenüber dem Impfen. Das hat auch historische Gründe. So gab es im Jahr1930 das sogenannte "Lübecker Impfunglück", bei dem aufgrund eines verunreinigten Tuberkulose-Impfstoffes 77 Kinder starben. In den 70er Jahren gab es in den USA bei Impfungen gegen die Schweine-Influenza ebenfalls mehrere Tote. Solche Unglücksfälle bleiben lange in den Köpfen der Menschen haften, und dadurch haben viele immer noch Vorbehalte gegen das Impfen. Und dann gibt es auch eine relativ grosse Gruppe von prinzipiellen Impfgegnern, deren Argumente allerdings sehr irrational sind.

Viele Menschen glauben ja, dass beispielsweise bestimmte neurologische Erkrankungen durch Impfungen ausgelöst werden können. Kann man das denn völlig ausschliessen?

Lode: Ja. Die Studien widerlegen das ganz eindeutig. Es kann natürlich in Einzelfällen vorkommen, dass eine Krankheit nach einer Impfung auftritt. Doch das ist dann Zufall. Mit solchen Beispielen gegen Impfungen zu plädieren, ist reine Propaganda. Manche Menschen glauben auch, dass sie durch eine Impfung genau die Krankheit bekommen haben, gegen die sie geimpft wurden. Das ist jedoch völlig unmöglich, da ja nur Bestandteile der Erreger injiziert werden, die niemals die Krankheit auslösen können. Aber es kann natürlich sein, dass die Infektion schon vorher da war und kurz nach der Impfung dann ausbricht. Der Patient glaubt dann, die Impfung sei schuld. Ich habe dies übrigens bei meinen Patienten noch nie erlebt.

Bei bestimmten Autoimmunerkrankungen sollte man doch aber vorsichtig sein.

Lode: Ja. Bei allen immunologischen Krankheiten wie zum Beispiel Multipler Sklerose oder Sarkoidose raten wir zur Vorsicht. Hier ist es beispielsweise ratsam, bei Impfungen zu sogenannten Totimpfstoffen anstelle von Lebendimpfstoffen zu greifen, da sie eine schwächere Reaktion des Immunsystems provozieren.

Warum sind denn gerade Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken so wichtig?

Lode: In Deutschland sterben bis zu 15.000 Menschen pro Jahr an Grippe. Eine Influenza-Impfung könnte diese Zahl drastisch verringern. Sie kann zwar nicht unbedingt verhindern, dass man an einer Grippe erkrankt, aber sie führt eindeutig zu milderen Verläufen. Bei Lungenentzündungen gibt es etwa 600.000 Neuerkrankungen pro Jahr - mehr als beim Herzinfarkt. Und während beim Herzinfarkt die Sterberate mittlerweile nur noch bei sechs bis sieben Prozent liegt, beträgt sie bei der Lungenentzündung unverändert zwischen 12 und 14 Prozent. Die hohe Letalität betrifft natürlich überwiegend die älteren Patienten, jüngere sterben kaum daran. Durch Impfungen kann jedoch die Zahl der schweren, tödlich verlaufenden Pneumonien deutlich gesenkt werden. Leider hatten wir gegen die Pneumokokken bisher einen Impfstoff, der nicht ganz so wirksam war, wie wir es erhofft und angenommen hatten.

Gibt es denn einen neuen Impfstoff?

Lode: Ja, es gibt einen neuen, konjugierten Impfstoff, der die dreizehn wichtigsten Serotypen der Pneumokokken, die wir bei Patienten mit Lungenentzündung finden, enthält. Er verspricht einen wesentlich besseren und längeren Schutz, da er sogenannte B-Gedächtniszellen mitstimuliert. Der Impfstoff hat die Phase III-Studien durchlaufen und wurde von der EMA zugelassen.

Gibt es neben Grippe und Lungenentzündung noch weitere Krankheiten, gegen die sich Erwachsene impfen lassen sollten?

Lode: Ich empfehle zum einen noch die Impfung gegen Keuchhusten. Die Pertussis-Impfung aus dem Kindesalter scheint nach etwa 20 Jahren nachzulassen. Ich habe in meiner Praxis schon einige Patienten gesehen, die über schweren Husten klagten, der teilweise über mehrere Monate anhielt und bei dem es sich um Keuchhusten handelte. Daher ist die übliche Dreifachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis sinnvoll - übrigens besonders, wenn man Kontakt mit Kindern hat. Die andere Erkrankung, gegen die man sich eigentlich impfen lassen sollte, ist der Herpes Zoster. Ab einem Alter von 70 Jahren bricht bei 30 bis 40 Prozent aller Menschen irgendwann diese Krankheit aus. Und 30 Prozent der Erkrankten leiden unter schweren Schmerzen, die in Extremfällen so stark sein können, dass selbst Morphium nicht mehr hilft. Das Problem ist, dass in Deutschland ein adäquater Impfstoff so gut wie nicht erhältlich ist. Hier gibt es also einen ganz dringenden Bedarf, der nicht gedeckt ist. Dass dieses Problem überhaupt nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wird, halte ich für einen Skandal.

Ein Wort zum Schluss: Was sollte sich Ihrer Meinung nach grundsätzlich beim Thema Impfen ändern?

Lode: Wir müssen die Bevölkerung einfach viel besser informieren. Die zuständigen Behörden und Medien sollten versuchen, ein anderes Bewusstsein für das Thema Impfen zu erzeugen. Es wird teilweise einfach vergessen, welchen Segen das Impfen für die Menschen bedeutet hat und immer noch bedeutet. Es gibt drei Dinge, die massgeblich dazu beigetragen haben, dass Infektionskrankheiten in den Zivilisationsländern zurückgedrängt wurden: sauberes Wasser, hygienische Massnahmen und Impfungen. Und eins sollte man bedenken: Jede Prävention ist sinnvoller als eine nachträgliche Therapie.

Prof. Dr. Hartmut Lode ist Arzt für Innere Krankheiten, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, und Infektiologie mit eigener Privatpraxis in Berlin-Westend. Er ist zudem Leiter des Research Center for Medical Studies (RCMS), das dem Institut für klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité Universitätsmedizin Berlin angeschlossen ist.

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