Immunzellen nach Schlaganfall doch nicht schädlich
Neutrophile Granulozyten sind eine Gruppe von Immunzellen, die insbesondere bei Infektionen oder Traumata aktiv werden, um etwa Keime zu zerstören oder tote Zellen zu fressen. Bislang ging man davon aus, dass die Zellen des Immunsystems nach einem Schlaganfall in das Gehirn auswandern, um dort die toten Gehirnzellen zu entsorgen, aber auch weitere Nervenzellen töten.
Ein Forscherteam mit Beteiligung der Frankfurter Goethe Universität hat diese Annahme nun widerlegt. Das Team aus Zellbiologen, Neuroimmunologen und Neuroptahologen hatte neue immunhistologische Analyseverfahren entwickelt und bei Tiermodellen des Schlaganfalls sowie bei Gehirngeweben von Patienten angewendet, die an einem Schlaganfall verstorben sind. Ihre Untersuchen ergaben, dass die neutrophilen Granulozyten nach einem Schlaganfall in den Blutgefäßen des Gehirns steckenbleiben und nicht in das Gehirngewebe auswandern. Im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung gelangen diese gefährlichen Zellen des Immunsystems somit gar nicht einmal in die Nähe der Nervenzellen.
Anders als bisher angenommen, bleiben beim Schlaganfall die Immunzellen in den Blutgefäßen stecken
„Bis vor kurzem gab es wenige Möglichkeiten die neutrophilen Granulozyten von anderen Fresszellen des Immunsystems eindeutig zu unterscheiden. Außerdem sehen sterbende Nervenzellen den neutrophilen Granulozyten mit gängigen Färbeverfahren zum Verwechseln ähnlich“, erläutert der Frankfurter Neuropathologe Prof. Michael Mittelbronn die Frage, wie es in der Vergangenheit zur Fehlinterpretation der Lokalisation der neutrophilen Granulozyten nach dem Schlaganfall gekommen ist.
In Wahrheit verfüge das Gehirn aber über einen Schutzmechanismus, die sogenannten Basalmembranen, um gefährliche Zellen abzuwehren. Bei einigen entzündlichen Erkrankungen des Gehirns wie bei der Multiplen Sklerose gelinge es den Immunzellen, durch beide Mauern hindurchzuwandern und im Gehirn großen Schaden anzurichten. Aber nicht nach einem Schlaganfall. „Beim Schlaganfall gelingt es den neutrophilen Granulozyten nicht, diese Mauern zu durchbrechen und in das Gehirngewebe einzudringen. Sie bleiben in den Blutgefäßen hängen und kommen nicht mit den Neuronen in Kontakt“, so der Neuropathologe.
Ob die neutrophilen Granulozyten, die nach dem Schlaganfall in den Gehirngefäßen steckenbleiben, zu einer lokalen Störung der Blut-Hirn-Schranke führen, bleibt laut den Forschern um Mittelbronn noch zu zeigen. Mittelbronn und seine Kollegen fordern allerdings bereits heute ein radikales Umdenken hinsichtlich der Ursachen des Nervenzellsterbens nach einem Schlaganfall. „Vielleicht müssen die Lehrbücher umgeschrieben werden“, heißt es in der Frankfurter Presseerklärung.
Schlaganfall häufigste Ursache für Behinderungen im Alter
Der Schlaganfall ist weltweit die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache für Behinderungen im Alter. Ein Schlaganfall entsteht, wenn die Durchblutung des Gehirns unterbrochen wird. Am häufigsten geschieht dies durch ein Blutgerinnsel, das in einem Blutgefäß im Gehirn steckenbleibt und dieses verstopft. Die verminderte Durchblutung des Gehirnbereichs führt zu einem Mangel an Sauerstoff sowie Nährstoffen und innerhalb von Stunden zum Absterben der Nervenzellen in diesem Hirnareal. Selbst wenn durch rasche medizinische Versorgung die Blutversorgung im betroffenen Gefäß wiederhergestellt wird, sterben in den Tagen nach dem Schlaganfall weitere Nervenzellen im Gehirn ab. Dafür macht man vor allem eine Entzündungsreaktion verantwortlich.
Foto: Das Bild zeigt eine feingewebliche Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Gehirn eines verstorbenen Schlaganfallpatienten mittels einer klassischen Hämatoxylin-Eosin-Färbung. Zahlreiche Zellen nehmen den dunklen Kernfarbstoff nicht mehr an und stellen sich abgeblasst dar (schwarze Pfeile), ein Zeichen für einen frischen Zelluntergang, wie man ihn im Falle frischer Gewebeschädigungen im Rahmen eines Schlaganfalls sehen kann. Neutrophile Granulozyten (gelbe Kreise) befinden sich entgegen der bisherigen Lehrmeinung jedoch überwiegend innerhalb der Blutgefäße (schwarze gestrichelte Linie) im Gehirn. Quelle: Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a. M.