Immuntherapie dominiert ASCO 2015
Mit über 30.000 Experten ist der amerikanische Krebskongress ASCO in Chicago das wichtigste Jahrestreffen für die Tumormedizin. Charité-Mediziner haben auf einer Post-ASCO-Pressekonferenz am Donnerstag die wichtigsten Highlights zusammengefasst. Demnach war das überragende Thema die Krebs-Immuntherapie. Erst danach folgten die zielgerichteten Therapien und die damit verbundene molekulare Diagnostik, allerdings in diesem Jahr auf einem sehr hohen Niveau, wie der komm. Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center Professor Ulrich Keilholz betonte. Außerdem sei auf dem ASCO deutlich geworden, dass sich die drei Bereiche immer stärker miteinander verbinden, sprich: auch die Immuntherapie wird zunehmend zielgerichteter.
Unerwartete Erfolge beim Melanom
„Die moderne Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren hat zu unerwarteten Erfolgen geführt“, begründete Keilholz den aktuellen Hype um die neuen Medikamente, die in der Lage sind Bremsen des Immunsystems zu lösen, so dass der Tumor wirksam bekämpft werden kann. Gleichzeitig mahnte er vor zu viel Euphorie. Der neue Ansatz müsse noch in der Breite geprüft werden. Doch schon jetzt sei klar, dass das Melanom keine Exklusiv-Krankheit sei, sondern sehr viel mehr Krebspatienten davon profitieren könnten.
PD1-Antikörper erzeugen tumorspezifische Nebenwirkungen
Nach dem metastasieren Melanom, wo es zu Remissionsraten von über 50 Prozent kommt, gilt die Immuntherapie bei Lungenkrebs und Kopf-Hals-Tumoren als besonders aussichtsreich, hier werden demnächst Zulassungen in Europa erwartet. Die neuen PD-1-Antikörper haben aber auch schon Neuroendokrine Tumore (NET) erfolgreich zurückgedrängt. „Wir haben erstaunliche Effekte gesehen, doch einige Patienten entwickeln das Vollbild einer Autoimmunerkrankung, etwa eine Colitis oder chronisch entzündliche Darmerkrankung“, berichtete Prof. Dr. Bertram Wiedenmann, Net-Experte der Charité. Sein Fazit: „Die Patienten bezahlen dafür einen hohen Preis.“ Die unerwünschte Nebenwirkung der neuen PD1-Antikörper wurde offenbar auch schon bei anderen Tumorerkrankungen beobachtet. Laut Onkologe Keilholz treten derartige Autoimmunreaktionen tumorspezifisch auf, beim Melanom seien sie bis dato nie ein Problem gewesen.
Immuntherapie wirkt bei Darmkrebs nur in Subgruppe
Nicht wirksam war die Immuntherapie unterdessen bei Darmkrebs, wie eine auf dem ASCO vorgestellte Studie zeigte. Bei einer speziellen Subgruppe hat die Checkpoint-Hemmung allerdings funktioniert: So genannte hypermutierte Darmtumore, die ungefähr zehnmal so viele Mutationen aufweisen wie ein üblicher Darmtumor, sprechen extrem gut auf die Therapie an. Die Krebsexperten der Charité sehen in der Studie einen weiteren Beleg dafür, wie sehr die molekulare Klassifikation inzwischen Eingang in die Immuntherapie findet.
Die Charité war mit mehreren Vorträgen und Poster-Präsentationen auf dem ASCO 2015 vom 31. Mai bis 2. Juni vertreten. Darunter waren neueste Studienergebnisse zum fortgeschrittenen Magenkarzinom, Brustkrebs, Eierstockkrebs, Kopf-Hals-Tumore sowie eine Studie zu einer zielgerichteten Therapie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. In der Studie wurden mehr als 400 Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs postoperativ mit einer Kombinationstherapie aus dem Zytostatikum Gemcitabin und dem Tyrosinkinase-Hemmer Erlotinib behandelt. Nach Auskunft von Dr. Marianne Sinn von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie konnte Erlotinib - anders als erhofft - das Gesamtüberleben nicht verlängern. „Wir hoffen, jetzt Subgruppen zu identifizieren, die von der Substanz profitieren“, sagte Onkologin Sinn mit Blick auf die Fortsetzung der Studie.
Immuntherapie und zielgerichtete Therapien sind die neuen Säulen in der Tumortherapie
Zielgerichtete Therapien, auch personalisierte Medizin genannt, galten lange als der Hoffnungsträger in der Tumormedizin. Durch die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren haben sie einen ernsthaften Mitstreiter bekommen. Krebsexperte Keilholz sieht daher aktuell fünf tragende Säulen in der Tumormedizin. „Mit der modernen Immuntherapie und den molekular gezielten Therapien haben wir zwei neue Modalitäten hinzubekommen, jetzt müssen wir schauen, wie wir sie in die Therapieplanung integrieren“, erläuterte er die Marschrichtung der Krebsmedizin. Die hat bei allen Erfolgen und Hoffnungen jedoch auch eine Schattenseite. Der amerikanische Krebsforscher Leonard Saltz vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York rechnete auf dem ASCO vor, dass die monatlichen Kosten für eine Krebsbehandlung seit 1979 fast um das achtzigfache gestiegen sind - von 129 Dollar in 1979 auf 10.000 Dollar in 2014 - es aber keine Korrelation zwischen Kostenanstieg und therapeutischem Zusatznutzen gibt. Für das Jahr 2015 prophezeite der Krebsmediziner eine weitere Kostenexplosion – verursacht durch neu zugelassene Medikamente. Auch die Charité-Experten sehen diese Entwicklung mit Sorge und betonten, „dass die Kostendiskussion jetzt ganz neu aufgerollt werden muss.“
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