In Deutschland erhalten jedes Jahr zwischen 3.000 und 4.000 Patienten im Alter von über 80 Jahren einen implantierbaren Defibrillator (ICD). Das muss nicht immer zum Nutzen der Patienten sein, denn es kann dazu kommen, dass im Sterben liegende Patienten noch mehrfache schmerzhafte Schocks erleiden müssen, die den Prozess des Sterbens unnötig in die Länge ziehen. Nun hat die „Projektgruppe Ethik in der Kardiologie“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) eine Stellungnahme veröffentlicht. In der Abhandlung, die von einem 17-köpfigen interdisziplinären Gremium unter Leitung von Professor Johannes Waltenberger aus Münster erarbeitet wurde und in der Fachzeitschrift Kardiologie erschienen ist, geht es um die Frage, wann implantierbare Defibrillatoren abgeschaltet werden dürfen, wenn herzkranke Menschen im Sterben liegen.
ICDs können Sterbeprozess verlängern
Wie die DGK betont, können ICDs ein großer Segen sein, wenn sie beispielsweise Herzrhythmusstörungen verhindern oder den Patienten nach einem plötzlichen Herztod wiederbeleben. Doch so sehr Patienten von dieser Maßnahme profitieren können, kann sie auch zum Problem werden – insbesondere, wenn die ICD-Träger unabhängig von Rhythmusstörungen an ihr Lebensende kommen.
„Im Sterbeprozess verkehrt sich der Nutzen der Defibrillatoren ins Gegenteil. Sie verlängern die palliative Phase und können Sterbende durch Elektroschocks schwer belasten“, so Waltenberger. Das Problem ließe sich dann zwar durch eine Deaktivierung der Geräte beheben, doch hierzu bedarf es der Zustimmung des Patienten. Kann diese nicht mehr eingeholt werden, stellt sich die Frage, ob eine Deaktivierung des Defibrillators rechtlich und ethisch zulässig ist.
Vorgehen schon vor der Implantation besprechen
Genau diese Aspekte wurden in der aktuellen Stellungnahme des Fachgremiums diskutiert. Als eines der größten Probleme wurde dabei die Tatsache genannt, dass das Thema nur in wenigen Fällen in der Patientenaufklärung vor der Implantation besprochen wird. Auch gibt es kaum Schulungen, Unterlagen oder Standards für diese wichtigen Gespräche. „Die mangelhafte oder zu späte Patientenaufklärung ist eines der größten ethischen Probleme“, betont Waltenberger. „Wird das ICD-Deaktivierungsthema erst kurz vor Lebensende angesprochen, sind die Betroffenen oft nicht mehr einwilligungsfähig.“
Eine der wichtigsten Empfehlungen der Projektgruppe lautet daher: Noch ehe der Defibrillator implantiert wird, müssen Risiken und Folgeprobleme sowie eine mögliche Deaktivierung thematisiert werden. Das erste Gespräch sollte dem Informationsbedürfnis und der konkreten Situation des Patienten angepasst sein. Auch Angehörige sollten miteingebunden werden. Bei einer längeren ICD-Verwendung müssen die betreuenden Kardiologen Folgegespräche anregen. „Richtig wäre es, über die Deaktivierung möglichst weit vorausschauend vor dem Eintritt der Palliativversorgung zu sprechen und in einer Patientenverfügung festzuhalten“, so Waltenberger.
Im Zweifelsfall muss der Arzt entscheiden
Gegen den Willen des Patienten darf der Defibrillator nicht abgeschaltet werden. Bei nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden. Haben sie nicht ausdrücklich widersprochen, gibt es in der unmittelbaren Sterbephase eine Besonderheit: Hier darf der Patientenwille zur Deaktivierung auch dann vermutet werden, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für die individuelle Einstellung der Sterbenden vorhanden sind.
„Wir empfehlen außerdem institutionelle oder persönliche Merklisten, die etwa erinnern sollen, welche Punkte zu berücksichtigen oder welche Personen hinzuzuziehen sind – sei es aus praktischen, ethischen oder forensischen Gründen“, erklärt Projektleiter Waltenberger. Diese Listen sollen auch sicherstellen, dass es eine medizinisch informierte Entscheidung über den Modus der Deaktivierung gibt, Missverständnisse zwischen allen Beteiligten vermieden werden sowie eine kompetente und ausreichend legitimierte ICD-Deaktivierung durchgeführt wird.
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