Hirnstimulation durch Gleichstrom hilft beim Lernen
Schon früher haben Mediziner Hinweise gefunden, dass eine elektrische Hirnstimulation das Gedächtnis verbessern kann. Nun wollten Forscher des Universitätsklinikums Tübingen herausfinden, ob sich durch eine gezielte Behandlung mit Gleichstrom die Erfolge eines Gedächtnistrainings steigern lassen könnten. Tatsächlich konnten sie zeigen, dass eine leichte elektrische Stimulation des Stirnhirns während eines speziellen Arbeitsgedächtnistrainings die Übungsergebnisse verbesserte. Das Arbeitsgedächtnis, das heißt die Fähigkeit zur vorübergehenden Speicherung und Bearbeitung neuer Informationen, ist eine Voraussetzung für zielgerichtetes Denken und Handeln. Die biologische Grundlage für diese Fähigkeit ist die Aktivität von Nervenzellnetzwerken insbesondere im Stirnbereich des Gehirns.
Arbeitsgedächtnis wurde gezielt durch Gleichstrom unterstützt
Mit der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS), die von außen an der entsprechenden Stelle des Kopfes angelegt wird, kann die Aktivität einzelner Hirnbereiche gezielt beeinflusst werden. Das Wissenschaftlerteam unter Leitung von Prof. Christian Plewnia hat nun getestet, ob diese sehr gut verträgliche und von den Versuchspersonen kaum spürbare Form der Hirnstimulation das Ergebnis eines speziellen Arbeitsgedächtnistrainings nachhaltig verbessern kann. Für ihre Experimente teilten die Forscher 81 Probanden in drei Gruppen ein: Bei allen wurden Stimulationselektroden aufgeklebt, doch nur bei zwei der Gruppen wurde das linke beziehungsweise das rechte Stirnhirn der Probanden während drei Trainingssitzungen innerhalb einer Woche tatsächlich gezielt mit schwachem Gleichstrom stimuliert. Die Teilnehmer der dritten Gruppe erhielten lediglich eine Scheinstimulation.
Nun wurden den Probanden im Rahmen eines Arbeitsgedächtnistrainings am Computer räumliche oder verbale Aufgaben gestellt, deren Schwierigkeitsgrad sich an die Leistungsfähigkeit der Versuchspersonen anpasste. Als Ergebnis wurde die in jeder Sitzung erreichte mittlere Gedächtniskapazität gewertet. Tatsächlich lernten Personen, die während einer sprachlichen Aufgabe am linken Stirnhirn und während einer räumlichen Aufgabe am rechten Stirnhirn stimuliert wurden, die Aufgabe besser zu bewältigen als Teilnehmer, die entweder eine Scheinstimulation oder während der sprachlichen Aufgabe eine rechtsseitige beziehungsweise während der räumlichen Aufgabe eine linksseitige Stimulation erhielten. Zu Erklärung: Sprachliche Informationen werden vor allem im linken, räumliche Informationen bevorzugt im rechten Stirnhirn verarbeitet. Dabei verständigen sich die Nervenzellen untereinander über elektrische Reizleitungen.
Hoffnung auf therapeutische Anwendungen
„Die deutlichen Unterschiede zwischen den Gruppen zeigen, dass die transkranielle Gleichstromstimulation kognitives Training gezielt unterstützten kann“, erklärte Studienleiter Plewnia. Besonders bemerkenswert war für die Forscher, dass die Verbesserungen noch Monate nach dem Training nachweisbar waren – und das sogar bei ähnlichen, vorher nicht trainierten Aufgaben. Mögliche therapeutische Anwendungen bei Depression, Schizophrenie und Gedächtnisstörungen werden derzeit untersucht und könnten die bestehenden Behandlungsoptionen bei psychischen Erkrankungen wesentlich erweitern. Dass sich mit der Methode die geistige Leistungsfähigkeit auch allgemein verbessern lassen wird, bezweifelt Plewnia allerdings. „Die Alltagsanforderungen sind deutlich komplexer als im Labor und die Leistung des Gehirns lässt sich auch mit Strom nicht beliebig steigern“ so der Experte. „Trotzdem können möglicherweise ganz bestimmte Fähigkeiten oder Defizite durch die gezielte Kombination von Stimulation und Training verbessert werden.“
Foto: © Tatiana Shepeleva - Fotolia.com