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Herzmuskelentzündung bei Jugendlichen: Warum die STIKO mit der Impfempfehlung noch zögert

Freitag, 6. August 2021 – Autor:
Die STIKO will derzeit generell keine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche aussprechen. Herzmuskelentzündungen durch die Impfung sind einer der Gründe. Mit ihrer Zurückhaltung ist die Kommission nicht allein. Auch viele andere europäische Länder impfen ihre Kinder nicht.
Haben Kinder einen medizinischen Nutzen von der Covid-Impfung? Oder mehr Schaden durch Herzmuskelentzündungen mit Spätfolgen? Die STIKO wägt das gerade ab

Haben Kinder einen medizinischen Nutzen von der Covid-Impfung? Oder mehr Schaden durch Herzmuskelentzündungen mit Spätfolgen? Die STIKO wägt das gerade ab – Foto: © Adobe Stock/ milanmarkovic78

Die Debatte, ob Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren eine Covid-Impfung bekommen sollten, ist noch nicht zu Ende. Am Montag hatte die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ab September ein flächendeckendes Impfangebot für diese Altersgruppe beschlossen. „Das ist ein Baustein, um einen sichereren Start in den Lehr- und Lernbetrieb nach den Sommerferien zu ermöglichen“, hieß es zur Begründung.

Dabei wäre es im Sinne von Vertrauen und Transparenz gut gewesen, die Entscheidung wissenschaftlich zu begründen: Wie hoch ist das Risiko in dieser Altersgruppe für einen schweren Covid-Verlauf? Und welches Risiko steht dem durch die Impfung gegenüber?

Politik liefert keine wissenschaftliche Begründung

Diese Information wäre für Eltern wichtig, um eine, wie es so schön heißt, Entscheidung auf Augenhöhe zu treffen. Schließlich impft man ja gesunde Kinder und die müssen einen klaren Nutzen von der Impfung haben. Doch diese Information fehlt bislang bzw. wird nicht kommuniziert, weil man dafür die weltweite Studienlage analysieren muss. Die Ständige Impfkommission (STIKO) tut dies gerade und ist noch zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen, weil das viel Arbeit bedeutet. Dass die Politik nun schneller war als die STIKO, hat mutmaßlich also politische Gründe.

Herzmuskelentzündung kann später zu Herzschwäche führen

STIKO-Chef Thomas Mertens hätte es für sinnvoller gehalten, wenn die Politik die wissenschaftliche Aufarbeitung abgewartet hätte. „Wir befinden uns noch in der Phase der Abwägung“, sagte er in einem Interview mit „WELT“ mit Blick auf die Nebenwirkungen. Man wisse zwar jetzt aus den USA, wie häufig eine Myokarditis auftrete. „Wir wissen aber noch nichts von Langzeitfolgen in Einzelfällen“, betonte er. Eine Herzmuskelentzündung könne später zu einer Herzschwäche führen.

Man sei jetzt dabei, diese Risiken gegenüber den Vorteilen der Impfung abzuwägen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche durch SARS-COv-2 kaum gefährdet seien. „Auch nicht durch die Delta-Variante“, betonte er.

Nach Daten aus den USA liegt das Risiko für eine Herzmuskelentzündung nach Impfung mit einem mRNA-Vakzin bei etwa 1:100.000. Aus Israel werden 2,4 Fälle pro 100.000 geimpfte Personen gemeldet. Hauptsächlich junge Männer zwischen 16 und 29 Jahren sind von einer Impfstoff-induzierten Myokarditis betroffen. Die Verläufe sollen in aller Regel mild sein. Jedoch bleibt das bislang nicht bezifferbare Restrisiko einer späteren Herzinsuffizienz.

USA mit Deutschland nicht vergleichbar

Die amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC kam zu der Einschätzung, dass die Vorteile der Impfung die Risiken überwiegen. Warum die STIKO dieser Einschätzung nicht folgt, liegt laut Mertens daran, dass die Krankheitslast durch Covid in den USA eine viel höhere sei. Dort gebe es etwa sehr viel mehr Kinder mit metabolischem Syndrom (starkes Übergewicht plus diverse Stoffwechselstörungen) als in Deutschland. Auch sei das amerikanische Gesundheitssystem schlechter.

„Jedes Land muss zu einer eigenen Impfempfehlung kommen“, erklärte Mertens. Außerdem wies er daraufhin, dass die STIKO mit ihrer Zurückhaltung nicht alleine ist. Rund die Hälfte aller Länder in Europa sehen ebenfalls keine generelle Impfung von Kindern ab zwölf Jahren vor, darunter skandinavische Länder. Großbritannien ist sogar noch strenger als Deutschland. Dort gibt es keine Öffnungsklausel, die besagt, dass Kinder und Jugendliche ohne besonderes Risiko nach ausführlicher Aufklärung und Zustimmung der Erziehungsberechtigten geimpft werden können.

Das von deutschen Politikern strapazierte Argument, dass durch die Impfung die Schulen offengehalten werden könnten, will Mertens nicht gelten lassen. Dafür gebe es andere Möglichkeiten. Empfehlungen der STIKO beruhten auf medizinischen Indikationen, nicht auf Meinungen, sagte er.

Mitte August will die STIKO eine neue Einschätzung abgeben. Noch ist offen, ob diese für oder gegen eine generelle Impfung von Kindern und Jugendlichen ausfällt.

Hauptkategorien: Corona , Gesundheitspolitik , Medizin
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