Helfen Grünlippmuscheln bei Gelenkerkrankungen?

Angeblich sollen Grünlippmuscheln bei Erkrankungen wie Arthritis helfen – Foto: ©tunedin - stock.adobe.com
Grünlippmuschelkapseln, -tabletten oder -pulver enthalten gefriergetrocknetes pulverisiertes Muschelfleisch oder entsprechende Extrakte aus der Grünschalmuschel (Perna canaliculus). Diese Miesmuschelart, die auch Grünlippmuschel genannt wird, ist in den Gewässern um Neuseeland beheimatet und wird dort zudem im großen Maßstab in Aquakulturen gezüchtet.
Die Muscheln enthalten Glykosaminoglykane, Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Vitamine und Aminosäuren sowie Fette, Omega-3-Fettsäuren und Cholesterin. Bei Glykosaminoglykanen handelt es sich um langkettige Aminozuckerverbindungen, die auch in der Gelenkflüssigkeit vorkommen. Omega-3-Fettsäuren wiederum sollen entzündungshemmend wirken. Daher vermuten viele Menschen, dass die Präparate ihre Gelenkschmerzen bekämpfen können.
Anbieter versprechen anti-entzündliche Wirkung
Wer nach einer natürlichen Therapie gegen Gelenkschmerzen sucht, stößt daher bei seiner Recherche schnell auf Präparate mit Grünlippmuschelextrakten. Sie sollen gegen Arthritis bzw. aktivierte Arthrose helfen. Viele Menschen verwenden sie auch bei Gelenkschmerzen ihrer Haustiere wie Pferde, Hunde und Katzen. Häufig enthalten die Produkte noch weitere als angebliche „Gelenkschmiere“ beworbene Substanzen wie Haifischknorpelextrakt, Curcumin, Chondroitin und Glucosamin. Dennoch ist die Wirksamkeit der Produkte fraglich.
Berühmt wurde die Grünschal- oder Grünlippmuschel, als Forscher in den 1960er Jahren meinten, herausgefunden zu haben, dass die Maori an Neuseelands Küste sehr viel seltener rheumatische Gelenkerkrankungen aufwiesen als ihre Stammesgenossen im Landesinneren. Dies wurde auf den hohen Verzehr der Grünlippmuscheln in den Küstenregionen zurückgeführt.
Keine überzeugenden Wirkungsnachweise für Grünlippmuscheln
Die Verbraucherzentralen betonen jedoch, dass sich der hohe Verzehr frischer Muscheln nicht mit der Einnahme von Kapseln und Pulvern aus Muschelextrakten vergleichen lasse. Darüber hinaus zeigen Gesundheitserhebungen der neuseeländischen Regierung, dass erwachsene Maori in Bezug auf chronische Erkrankungen wie Arthritis zum Teil sogar schlechter abschneiden als andere Bevölkerungsgruppen.
Die wenigen vorliegenden Studien mit Grünlippmuschelextrakt zur Vorbeugung von Gelenkbeschwerden gelten zudem als wissenschaftlich nicht überzeugend. Häufig, so die Verbrauchzentralen, sind sie von minderer Qualität, haben eine niedrige Teilnehmerzahl und liefern widersprüchliche Ergebnisse.
EFSA sieht keinen Wirkzusammenhang mit Gelenkbeschwerden
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) lehnte daher verschiedene von Anbietern beantragte gesundheitsbezogene Angaben für Grünlippmuschelextrakte ab. Bisher konnte die Behörde aufgrund der vorgelegten Studien keinen Wirkzusammenhang zwischen der Einnahme von Grünlippmuschelprodukten und Gelenkerkrankungen erkennen. Auch die Natural Standard Research Collaboration, die sich ebenfalls um objektive evidenzbasierte Analysen bemüht, sieht für eine positive Wirkung von Grünlippmuschelpräparaten bei Patienten mit rheumatoider Arthritis keine stichhaltigen Belege.
Zu bedenken ist auch, dass Grünlippmuschelprodukte nur als Nahrungsergänzungsmittel vorliegen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln wird für sie keine behördliche Zulassung benötigt, um sie auf den Markt zu bringen, und es müssen keine Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweise vorgelegt werden. Wie alle Lebensmittel enthalten die Grünlippmuschelprodukte daher auch keine definierten, standardisierten Extrakte. Dies wird ebenfalls von der EFSA bemängelt. Dadurch sind Studiennachweise für jedes einzelne Produkt mit seinem speziellen Extrakt Voraussetzung, um mit einer bestimmten Wirksamkeit werben zu dürfen. Handelt es sich um Kombinationen mit anderen in ihrer Zusammensetzung ebenfalls nicht einheitliche Stoffe wie Curcumin, Glucosamin usw., wären Wirksamkeitsstudien für jedes einzelne Produkt nötig.
Grünlippmuschelprodukte können mit Toxinen belastet sein
Wer dennoch testen möchte, ob sich Grünlippmuschelprodukte positiv auf seine Gelenkerkrankungen auswirken, sollte dabei einiges beachten. Da die Muscheln mit verschiedenen Algentoxinen (giftigen Stoffwechselprodukten der Algen, z.B. Mikrocystinen) belastet sein können, sollte man sich vor Verwendung eines Präparats Laboranalysen vorlegen lassen. Die Verbrauchzentralen raten, dass diese Analysen von einem deutschen Labor sein und eine geringe oder am besten gar keine Belastung mit Algentoxinen belegen sollten.
Grundsätzlich sollte eine Therapie von Gelenkbeschwerden mit einem Arzt besprochen werden. Ausreichend Bewegung sowie eine fleischarme, pflanzenbetonte Ernährung können die Therapie unterstützen. Hochwertige Öle mit hohen Mengen an Omega-3-Fettsäuren (Lein-, Walnuss- und Rapsöl) sowie Nüsse und ein bis zwei Seefischmahlzeiten pro Woche werden ebenfalls empfohlen.
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