Harm-Reduction: Gruppe von Wissenschaftlern hält E-Zigarette für das kleinere Übel

Harm-Reduction durch weniger schädliche Alternativen zur Zigarette – Foto: © Adobe Stock/ Andrey Popov
Jeder Raucher weiß, dass Zigaretten schädlich sind und insbesondere Krebs, Arteriosklerose sowie kardiovaskuläre Erkrankungen auslösen können. Trotzdem gelingt eine Rauchentwöhnung nur in seltenen Fällen. Doch was ist, wenn starke Raucher wenigstens auf schadstoffärmere E-Zigaretten und Tabakerhitzer umsteigen würden?
Fachgesellschaften und die Weltgesundheitsorganisation lehnen jede Form von Inhalation kategorisch ab. Umso erstaunlicher, dass sich auf dem 37. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin in Mannheim am 15. Oktober eine Gruppe von Medizinern für die Ersatzprodukte ausgesprochen hat. Das Hauptargument lautet: Rauchentwöhnung hat geringe Erfolgsraten, darum ist "Harm-Reduction", also eine Schadensbegrenzung, in jedem Fall besser, als weiterhin Zigaretten zu rauchen.
BfR befürwortet Harm-Reduction
Unter den Befürwortern einer Harm-Reduction-Strategie ist auch Dr. Elke Pieper vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Sie legte dar, dass der Gehalt an Schadstoffen in der Emission von E-Zigaretten und Tabakerhitzern um mehr als 85 bis 95 Prozent geringer ist als bei Zigarettenrauch. Wenn auch Daten zur klinischen Korrelation fehlten, "muss sich das auf die gesundheitlichen Risiken auswirken“, so die Chemikerin auf dem Symposium „Rauchentwöhnung und Harm-Reduction“ am 15. Oktober. Nach Piepers Aussage ist davon auszugehen, dass bei bestimmungsgemäßem Gebrauch allen Arten von E-Zigaretten und Tabakerhitzern die gesundheitlichen Risiken deutlich geringer sind als beim Tabakrauchen. Zurzeit gebe es keine Daten, die besagten, dass von den in der EU verwendeten Aromasubstanzen für E-Liquids zusätzliche gesundheitliche Risiken ausgingen.
Bei schlechter Lungenfunktion sind schadstoffärmere Ersatzprodukte besser
Der Lungenarzt Dr. Thomas Hering hält Ersatzprodukte zwar eher nicht zur Rauchentwöhnung geeignet, sprach sich im Sinne einer Harm-Reduction jedoch für die Alternativen zur Zigarette aus. Patienten mit schwerer und End-stage COPD würden sich "zu Tode rauchen", sagte der Beauftragte für Tabakrisiken-Fragen und Tabakentwöhnung im Bundesverband der Pneumologen. „Also wäre gerade bei Patienten mit schlechter Lungenfunktion ein rechtzeitiger Wechsel auf schadstoffärmere Ersatzprodukte, insbesondere E-Zigaretten, sinnvoll.“
Harm-Reduction-Strategien könnten Tabakkontrollstrategien sinnvoll ergänzen, meinte auch Ute Mons, Professorin für kardiovaskuläre Epidemiologie des Alterns an der Universität Köln. Gerade Deutschland stünde bei der Tabakkontrolle im europäischen Vergleich schlecht dar. Entsprechend sinken die Raucherquoten in Deutschland nur leicht, und insbesondere bei mittleren und höheren Altersgruppen sind im Zeitverlauf sogar steigende Raucherquoten zu beobachten.
Experte sieht Gateway Theorie nicht bestätigt
Fachgesellschaften begründen ihre ablehnende Haltung gegenüber Ersatzprodukten unter anderem mit der sogenannten Gateway Theorie. Damit ist gemeint, dass etwa die E-Zigarette eine Einstiegsdroge für Jugendliche in das Zigarettenrauchen sei. Nach Auskunft von Dr. Bernd Werse hat sich diese Theorie jedoch nicht bestätigt. „Insgesamt hat den Ergebnissen diverser repräsentativer Befragungen zufolge die Zahl der jugendlichen Raucher in Deutschland gerade nach Einführung der E-Zigaretten nochmals stark abgenommen, so dass nicht von einem relevanten Einstiegseffekt geredet werden kann“, sagte der Sozialpädagoge von der Universität Frankfurt. Die langfristigen Daten einer Repräsentativ-Erhebung in Frankfurter Schulen habe zudem zeigen können, dass Jugendliche, die E-Zigaretten vor dem Rauchen ausprobieren, vergleichsweise selten abhängige Raucher würden.