„Gutes Krankenhausessen spart am Ende Geld”
Am Krankenhausessen wird viel herumgenörgelt. Kürzlich zeigten Stichproben des ARD-Mittagmagazins in einem Berliner Krankenhaus, dass Patienten nicht die Vitamine und Nährstoffe bekommen, die sie eigentlich bräuchten. Stattdessen war das Essen viel zu salzig. Wie gut oder schlecht ist das Essen in deutschen Krankenhäusern wirklich, Herr Professor Löser?
Löser: Ausnehmend unterschiedlich. Ich kenne Krankenhäuser, die die neuen Konzepte aufgenommen haben und sich wirklich bemühen, hochwertige Kost anzubieten. Und es gibt Krankenhäuser, die schauen allein auf die Kosten. Insgesamt ist das deutsche Krankenhausessen qualitativ sicher noch nicht auf dem Level, wo es sein könnte. Aber es gibt zunehmen Tendenzen, die Situation zu verbessern. Andererseits werden Sie nie alle zufriedenstellen können. Selbst in unserem Haus, wo hochwertige Ernährung einen hohen Stellenwert hat, kritisieren einzelne Patienten das Essen. Das ist generell sehr beliebt und hat auch viel mit Psychologie zu tun.
Müsste es aus ihrer Sicht Mindestqualitätsstandards für Krankenhausessen geben?
Löser: Die gibt es schon. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat für Gemeinschaftsverpflegungen Kriterien erstellt, was im Essen drin und wie abwechslungsreich das sein sollte. Diese Empfehlungen werden halt mal mehr oder weniger gut von den Krankenhäusern umgesetzt.
Kontrolliert wird das nicht?
Löser: Es gibt Hygienekontrollen, aber dass die Qualität des Essens selbst konsequent kontrolliert würde, davon ist mir bisher nichts zu Ohren gekommen.
Sie setzen sich ja seit Jahrzehnten für eine bessere Ernährung in Krankenhäusern ein. Damit machen Sie sich sicher nicht nur Freunde auf der Verwaltungsebene?
Löser: Früher war das Essen für Verwaltungsdirektoren etwas, das akzeptabel und zugleich möglichst günstig sein sollte. Inzwischen gibt es etliche hochwertige Studien, die zeigen: Essen ist Teil der Therapie und die Mehrausgaben lassen sich wieder reinholen bzw. die Kosten sogar senken. Gerade mangelernährte Patienten erleiden weniger Komplikationen und gehen früher wieder nachhause. Hier findet ein echter Paradigmenwechsel statt. Bei Patienten mit Risiko für eine Mangelernährung gibt es ohne gute und ausreichende Ernährung keine baldige Gesundheit, auch und gerade im Krankenhaus.
Mit besserem Essen lassen sich Kosten sparen?
Löser: Das ist tatsächlich so. Wir wissen, dass jeder vierte Patient bei der stationären Aufnahme mangelernährt ist oder ein Risiko für Mangelernährung hat. Diese Patienten haben eine höhere Sterblichkeitsrate, sprechen schlechter auf Therapien an, sie bekommen öfter einer Lungenentzündung oder eine andere Komplikation und haben längere Liegezeiten. Wenn Sie nur 1 bis 1,50 Euro am Tag mehr fürs Essen ausgeben, haben Sie am Ende nicht nur fittere Patienten, sondern auch Ressourcen gespart. Zuletzt ist eine Spitzenarbeit im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen, die genau das bei mangelernährten Patienten untermauert.
Eigentlich sind die Deutschen ja tendenziell eher zu dick. Wie kann es sein, dass so viele Krankenhauspatienten mangelernährt sind?
Löser: Mangelernährung ist keine Frage des Körpergewichts, das Entscheidende ist der Gewichtsverlust. Wenn ein übergewichtiger Mann ernsthaft erkrankt und innerhalb von drei bis sechs Monaten 5 bis 10 Prozent seines Körpergewichts verliert, können Sie von einer ernsthaften Mangelernährung ausgehen. Und das ist eben bei vielen akut oder chronisch kranken Patienten der Fall. Die kommen zwar mit Übergewicht ins Krankenhaus, sind aber in Wahrheit mangelernährt, weil sie vorher schon deutlich abgenommen haben. Über die Risiken haben wir eben schon gesprochen. Deswegen sollte im Krankheitsfall niemand abnehmen. Die Prognose ist dann deutlich schlechter. Mangelernährung ist ein hochrelevanter unabhängiger Risiko- und Kostenfaktor.
Welche Patienten sind denn hauptsächlich von Mangelernährung betroffen?
Löser: Die Hauptgruppen sind onkologische Patienten, geriatrische, also alte Patienten und Patienten mit Lungenerkrankungen wie COPD. Auf den entsprechenden Stationen geht der Anteil der mangelernährten Patienten rauf bis 50 Prozent. In zertifizierten onkologischen Zentren ist ein Screening auf Mangelernährung schon vorgeschrieben. Leider ist es noch nicht grundsätzlich Pflicht, ich bin aber zuversichtlich, dass das in nächster Zeit gesetzlich verankert wird.
An den DRK-Kliniken Kassel screenen Sie alle Patienten auf Mangelernährung. Der freiwillige Aufwand lohnt sich?
Löser: Das ist mit Hilfe einfacher internationaler Scores in wenigen Minuten gemacht. Der Aufwand ist gering, der Benefit umso größer. Wenn wir ein Risiko für Mangelernährung feststellen, ordnet der Arzt eine spezielle nährstoffreiche und energieangereicherte Menülinie an. Wir nennen das „Pro Energy-Konzept“ im Rahmen des von uns speziell entwickelten „Kasseler Modells.“
Das bedeutet was?
Löser: Die Patienten bekommen eine Vollkost in einer entsprechend angereicherten Modifikation und zusätzlich kleine, appetitliche Zwischenmahlzeiten. Da können sie zwischen energiereichen frischen Shakes, Fingerfood, diversen Muffins und vielem mehr wählen, und das mehrmals am Tag. Dafür gibt es eine eigene Speisekarte. Das „Kasseler Modell“ haben viele Kliniken übernommen, weil es praktikabel ist und gut funktioniert. Die mangelernährten Patienten kommen nachweislich schneller wieder auf die Beine, weil sich ihr Allgemeinzustand und ihr Immunstatus verbessert.
Und das Kasseler Modell ist nur einen Euro teurer?
Löser: Das Kasseler Modell kostet uns pro Tag und Patient in etwa 6,50 Euro bezogen auf die reinen Lebensmittel. Damit liegen wir rund 1,50 Euro über dem deutschen Schnitt, der bei knapp 5 Euro am Tag liegt. Im Vergleich zu den hohen Tageskosten sind das verschwindend geringe Mehrausgaben für ein Krankenhaus.
Auch Ihre nicht-mangelernährten Patienten bekommen eine ausgewogene, nährstoffreiche Kost. Wo ist der Unterschied zum durchschnittlichen Krankenhaus?
Löser: Bei uns liegen weniger „leere“ Kalorien auf dem Teller, sondern mehr Broccoli, Vollkornprodukte oder frische Früchte. Eine gesunde Ernährung im Krankenhaus ist kein Hexenwerk, sondern eine Frage des Willens und der Kreativität. Dass sie genauso wichtig ist wie Medikamente, dafür haben wir heute für mangelernährte Patienten die wissenschaftlichen Daten. Das muss jetzt nur noch in die Köpfe der Ärzte und Gesundheits- und Krankenhausmanager hinein.
Prof. Dr. med. Christian Löser ist Chefarzt der Medizinischen Klinik an den DRK-Kliniken Nordhessen in Kassel. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologe, Sportmediziner, Ernährungsmediziner und Palliativmediziner.