Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

„Gutes Krankenhausessen spart am Ende Geld”

Dienstag, 28. Juli 2020 – Autor:
Das Essen in deutschen Krankenhäusern hat keinen besonders guten Ruf. Dabei lässt sich mit wenig Mehraufwand viel erreichen. Der Internist und Ernährungsmediziner Prof. Dr. Christian Löser erklärt die medizinischen und ökomischen Effekte einer gesunden Ernährung im Krankenhaus.
Ernährungsexperte Prof. Chritsian Löser

Ernährungsexperte Prof. Chritsian Löser

Am Krankenhausessen wird viel herumgenörgelt. Kürzlich zeigten Stichproben des ARD-Mittagmagazins in einem Berliner Krankenhaus, dass Patienten nicht die Vitamine und Nährstoffe bekommen, die sie eigentlich bräuchten. Stattdessen war das Essen viel zu salzig. Wie gut oder schlecht ist das Essen in deutschen Krankenhäusern wirklich, Herr Professor Löser?

Löser: Ausnehmend unterschiedlich. Ich kenne Krankenhäuser, die die neuen Konzepte aufgenommen haben und sich wirklich bemühen, hochwertige Kost anzubieten. Und es gibt Krankenhäuser, die schauen allein auf die Kosten. Insgesamt ist das deutsche Krankenhausessen qualitativ sicher noch nicht auf dem Level, wo es sein könnte. Aber es gibt zunehmen Tendenzen, die Situation zu verbessern. Andererseits werden Sie nie alle zufriedenstellen können. Selbst in unserem Haus, wo hochwertige Ernährung einen hohen Stellenwert hat, kritisieren einzelne Patienten das Essen. Das ist generell sehr beliebt und hat auch viel mit Psychologie zu tun.

Müsste es aus ihrer Sicht Mindestqualitätsstandards für Krankenhausessen geben?

Löser: Die gibt es schon. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat für Gemeinschaftsverpflegungen Kriterien erstellt, was im Essen drin und wie abwechslungsreich das sein sollte. Diese Empfehlungen werden halt mal mehr oder weniger gut von den Krankenhäusern umgesetzt.

Kontrolliert wird das nicht?

Löser: Es gibt Hygienekontrollen, aber dass die Qualität des Essens selbst konsequent kontrolliert würde, davon ist mir bisher nichts zu Ohren gekommen.

Sie setzen sich ja seit Jahrzehnten für eine bessere Ernährung in Krankenhäusern ein. Damit machen Sie sich sicher nicht nur Freunde auf der Verwaltungsebene?

Löser: Früher war das Essen für Verwaltungsdirektoren etwas, das akzeptabel und zugleich möglichst günstig sein sollte. Inzwischen gibt es etliche hochwertige Studien, die zeigen: Essen ist Teil der Therapie und die Mehrausgaben lassen sich wieder reinholen bzw. die Kosten sogar senken. Gerade mangelernährte Patienten erleiden weniger Komplikationen und gehen früher wieder nachhause. Hier findet ein echter Paradigmenwechsel statt. Bei Patienten mit Risiko für eine Mangelernährung gibt es ohne gute und ausreichende  Ernährung keine baldige Gesundheit, auch und gerade im Krankenhaus.

Mit besserem Essen lassen sich Kosten sparen?

Löser: Das ist tatsächlich so. Wir wissen, dass jeder vierte Patient bei der stationären Aufnahme mangelernährt ist oder ein Risiko für Mangelernährung hat. Diese Patienten haben eine höhere Sterblichkeitsrate, sprechen schlechter auf Therapien an, sie bekommen öfter einer Lungenentzündung oder eine andere Komplikation und haben längere Liegezeiten. Wenn Sie nur 1 bis 1,50 Euro am Tag mehr fürs Essen ausgeben, haben Sie am Ende nicht nur fittere Patienten, sondern auch Ressourcen gespart. Zuletzt ist eine Spitzenarbeit im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen, die genau das bei mangelernährten Patienten untermauert.

Eigentlich sind die Deutschen ja tendenziell eher zu dick. Wie kann es sein, dass so viele Krankenhauspatienten mangelernährt sind?

Löser: Mangelernährung ist keine Frage des Körpergewichts, das Entscheidende ist der Gewichtsverlust. Wenn ein übergewichtiger Mann ernsthaft erkrankt und innerhalb von drei bis sechs Monaten 5 bis 10 Prozent seines Körpergewichts verliert, können Sie von einer ernsthaften Mangelernährung ausgehen. Und das ist eben bei vielen akut oder chronisch kranken Patienten der Fall. Die kommen zwar mit Übergewicht ins Krankenhaus, sind aber in Wahrheit mangelernährt, weil sie vorher schon deutlich abgenommen haben. Über die Risiken haben wir eben schon gesprochen. Deswegen sollte im Krankheitsfall niemand abnehmen. Die Prognose ist dann deutlich schlechter. Mangelernährung ist ein hochrelevanter unabhängiger Risiko- und Kostenfaktor.

Welche Patienten sind denn hauptsächlich von Mangelernährung betroffen?

Löser: Die Hauptgruppen sind onkologische Patienten, geriatrische, also alte Patienten und Patienten mit Lungenerkrankungen wie COPD. Auf den entsprechenden Stationen geht der Anteil der mangelernährten Patienten rauf bis 50 Prozent. In zertifizierten onkologischen Zentren ist ein Screening auf Mangelernährung schon vorgeschrieben. Leider ist es noch nicht grundsätzlich Pflicht, ich bin aber zuversichtlich, dass das in nächster Zeit gesetzlich verankert wird.

An den DRK-Kliniken Kassel screenen Sie alle Patienten auf Mangelernährung. Der freiwillige Aufwand lohnt sich?

Löser: Das ist mit Hilfe einfacher internationaler Scores in wenigen Minuten gemacht. Der Aufwand ist gering, der Benefit umso größer. Wenn wir ein Risiko für Mangelernährung feststellen, ordnet der Arzt eine spezielle nährstoffreiche und energieangereicherte Menülinie an. Wir nennen das „Pro Energy-Konzept“ im Rahmen des von uns speziell entwickelten „Kasseler Modells.“

Das bedeutet was?

Löser: Die Patienten bekommen eine Vollkost in einer entsprechend angereicherten Modifikation und zusätzlich kleine, appetitliche Zwischenmahlzeiten. Da können sie zwischen energiereichen frischen Shakes, Fingerfood, diversen Muffins und vielem mehr wählen, und das mehrmals am Tag. Dafür gibt es eine eigene Speisekarte. Das „Kasseler Modell“ haben viele Kliniken übernommen, weil es praktikabel ist und gut funktioniert. Die mangelernährten Patienten kommen nachweislich schneller wieder auf die Beine, weil sich ihr Allgemeinzustand und ihr Immunstatus verbessert.

Und das Kasseler Modell ist nur einen Euro teurer?

Löser: Das Kasseler Modell kostet uns pro Tag und Patient in etwa 6,50 Euro bezogen auf die reinen Lebensmittel. Damit liegen wir rund 1,50 Euro über dem deutschen Schnitt, der bei knapp 5 Euro am Tag liegt. Im Vergleich zu den hohen Tageskosten sind das verschwindend geringe Mehrausgaben für ein Krankenhaus.

Auch Ihre nicht-mangelernährten Patienten bekommen eine ausgewogene, nährstoffreiche Kost. Wo ist der Unterschied zum durchschnittlichen Krankenhaus?

Löser: Bei uns liegen weniger „leere“ Kalorien auf dem Teller, sondern mehr Broccoli, Vollkornprodukte oder frische Früchte. Eine gesunde Ernährung im Krankenhaus ist kein Hexenwerk, sondern eine Frage des Willens und der Kreativität. Dass sie genauso wichtig ist wie Medikamente, dafür haben wir heute für mangelernährte Patienten die wissenschaftlichen Daten. Das muss jetzt nur noch in die Köpfe der Ärzte und Gesundheits- und Krankenhausmanager hinein.

Prof. Dr. med. Christian Löser ist Chefarzt der Medizinischen Klinik an den DRK-Kliniken Nordhessen in Kassel. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologe, Sportmediziner, Ernährungsmediziner und Palliativmediziner.

Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Krankenhäuser , Ernährung

Weitere Nachrichten zum Thema Krankenhausessen

Die Nährstoffdichte von pflanzlicher Kost unterstützt erwiesenermaßen die medizinische Behandlung und die Genesung. Das heißt nicht, dass die in deutschen Krankenhäusern eine Selbstverständlichkeit wäre. Vielerorts fehlten „Wissen und Mut“ für eine fortschrittliche Patientenverpflegung, kritisiert das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) und hat auf dieses Defizit jetzt reagiert: mit einem praxisnahen Ratgeber.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin