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Graft-versus-Host-Reaktion ist eine ernste Komplikation der Stammzelltransplantation

Donnerstag, 17. März 2016 – Autor:
Die Stammzellspende gibt Leukämiepatienten eine Chance auf Leben. Aber sie ist eine Hochrisikotherapie. Der Hämatologe Dr. Harald Biersack vom Universitätsklinikum in Lübeck ist ein erfahrener Transplanteur. Im Interview spricht er über die Stammzelltransplantation und die Komplikationen – wie etwa die Graft-Versus-Host-Reaktion.
Dr. Harald Biersack, Universitätsklinikum Lübeck

Herr Dr. Biersack, weltweit sind mittlerweile 27 Millionen Spender in den verschiedensten Stammzellspenderdateien registriert: Gibt es immer noch Patienten, die keinen passenden Spender finden?

Biersack: In vielen Fällen stehen uns weitgehend kompatible Spender zur Verfügung – manchmal sogar mehrere. Deshalb gilt heute: Wir suchen nicht mehr nur einen Spender, sondern wir suchen den optimalen Spender, um die Überlebenschancen der Patienten weiter zu steigern.

Wer ist denn ein optimaler Spender?

Biersack: Der beste Spender ist derjenige, dessen HLA-Gewebemerkmale am kompatibelsten mit denen des Patienten sind. Man sagt 10 von 10 dieser Merkmale sollten übereinstimmen. Häufig müssen wir jedoch noch mit so genannten Mismatches (Abweichungen) transplantieren, weil der optimale Spender für diesen einen, jetzt akuten Patienten noch nicht typisiert ist. Deshalb kann sich niemand zurücklehnen und sagen: Es gibt schon genug Spender.

Was bedeutet es, wenn die Patienten mit einem Mismatch transplantiert werden müssen, weil kein vollständig kompatibler Spender zur Verfügung steht?

Biersack: Transplantation mit einem Mismatch bedeutet ein deutlich erhöhtes Risiko, dass die Patienten an einer Graft-versus-Host-Desease – kurz GvHD - leiden. Bei dieser Transplantat-gegen-den Wirt-Reaktion richtet sich das transplantierte Immunsystem des Spenders gegen die Organe des Empfängers. Dies kann einerseits direkt das Überleben des Patienten beeinflussen, andererseits bei einem chronischen Verlauf zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten führen.

In welcher Weise kann die Lebensqualität bei einem chronischen Verlauf beeinträchtigt sein?

Biersack: Bei einer chronischen Graft-Versus-Host-Reaktion sind dauerhaft Medikamente notwendig, um die Aktivität des fremden, transplantierten Immunsystems gegen den Körper des Patienten zu unterdrücken. Durch diese Medikamente wird der Patient anfälliger für Infektionen. Ein spezielles Beispiel: Gerade die Reaktion an der Haut des Patienten kann eine schlechtere Beweglichkeit der Haut, der Unterhaut und des Bewegungsapparates hervorrufen. Damit ist die körperliche Leistungsfähig mehr oder weniger schwer eingeschränkt.

Können Sie genauer beschreiben, was eine Graft-versus-Host-Reaktion für die Patienten bedeutet?

Biersack: Bei der Graft-versus-Host-Reaktionunterscheiden wir eine akute Reaktion, die bis Tag 100 nach Transplantation abläuft, von einer dann folgenden chronischen Reaktion. Die akute Form hat sich den Namen verdient, da sie das Leben des Patienten über einen Angriff des Immunsystems gegen die Haut, den Darm und die Leber gefährdet und unter Umständen zum Tod führen kann. Moderne Transplantationsmedizin vermeidet diese akute GvHD bei nahezu allen Transplantationspatienten durch geeignete Prophylaxe bzw. Therapie. Im Fall der chronischen GvHD werden neben den eben genannten drei Organen noch weitere angegriffen und in ihrer Funktion eingeschränkt. In der Folge muss der Patient stetig Medikamente zur Unterdrückung des Effektes bekommen. Selten kann diese Form der GvHD auch so außer Kontrolle geraten, dass sie das Leben des Patienten gefährdet.

Aber es gibt auch den antileukämischen Effekt des transplantierten Immunsystems - also dass das Transplantat gegen die Leukämie aktiv wird.

Biersack: Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die gleichen Zellkompartimente (Teile) des transplantierten Immunsystems nicht nur in der Lage den oben beschriebenen GvHD-Effekt auszuführen, sondern sie besitzen auch die Potenz, verbliebene Rest-Leukämie im Körper des Empfängers zu erkennen und auszumerzen.

Welche Rolle spielt dabei die Chemotherapie?

Biersack: Entgegen unserer früheren Einschätzung, dass die vor der Transplantation durchgeführte Strahlen-/Chemotherapie die Leukämie besiegt, glauben wir heute eher, dass das transplantierte Immunsystem aktiv zur Heilung der zugrunde liegenden Erkrankung führt. Dabei spielt der eben beschriebene Immuneffekt Graft-versus-Leukemia eine wesentliche Rolle.

Das bedeutet, dass eine Stammzelltransplantation eine Gratwanderung ist. Wie gehen sie als Transplanteur vor?

Biersack: Die Gratwanderung besteht aus einem ausgewogenen Verhältnis aus Zügelung bzw. Aktivieren des transplantierten Immunsystems. Dabei stehen nicht viele Methoden zur Verfügung dieses Immunsystem zu steuern. In dieser Phase ist der Patient sowohl durch einen Rückfall der Erkrankung als auch durch ein überaktives Immunsystem gefährdet. Mit den wenigen Steuerungsmethoden, also Medikamenten, versuchen wir bei jedem Patienten individuell den goldenen Mittelweg zu finden.

Laut Statistiken der Stefan-Morsch-Stiftung werden Frauen deutlich seltener als Stammzellspender ausgewählt. Warum ist das so?

Biersack: Die Risiken einer Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion verstärken sich durch die Zahl der sensibilisierten Immunzellen im Körper des Spenders. Frauen machen im Rahmen von Schwangerschaften eine Sensibilisierung des Immunsystems durch, da während der Schwangerschaften oder den Geburten Kontakt mit dem Eiweiß des Kindes besteht. Dadurch kann das mütterliche Immunsystem aktiviert werden. Aber genau dieses so aktivierte Immunsystem kann dann beim Patienten umso mehr die neue Umgebung als fremd erkennen und angreifen.

Sollten sich Frauen gar nicht mehr typisieren lassen?

Biersack: Immunsysteme von spendenden Frauen, die ein oder mehrere Geburten hatten, sind wahrscheinlich in der antileukämischen Effektivität besser als Immunsysteme von Männern. Leider gefährden sie jedoch im gleichen Atemzug das Leben des Patienten durch eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Graft-Versus-Host-Reaktion. Wir brauchen weiter Frauen in den Stammzellregistern, um die Chance zu erhöhen, für jeden Patienten einen Spender zu finden. Klar ist, dass jede Typisierung einen finanziellen Aufwand für die Spenderdateien bedeutet, der durch Spendengelder gedeckt werden muss. Jedoch ist jede durchgeführte Typisierung eine Verbesserung der Chancen der Patienten.

Das Interview führte Andrea Dijfroudi von der Stefan-Morsch-Stiftung. Die Stiftung klärt seit 30 Jahren darüber auf, welche Heilungschancen die Transplantation von Stammzellen und Knochenmark für Leukämiekranke bietet. Sie wirbt dafür, sich als Stammzellspender typisieren zu lassen.

Hauptkategorie: Medizin

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