Glioblastom: Angriff von verschiedenen Seiten

Hirntumorexperte Marc-Eric Halatsch untersucht eine Kombinationsbehandlung aus TTFields und dem Medikamentencocktail CUSP9v3
Das Glioblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor im Erwachsenenalter und leider auch die aggressivste Form: Die Tumore wachsen infiltrativ ins Gehirn ein und können darum chirurgisch so gut wie nie komplett entfernt werden. Zudem sind die Tumorzellen oftmals resistent gegenüber der Chemo- und Strahlentherapie, weshalb die üblichen Behandlungen selten nachhaltig erfolgreich sind. Bis auf wenige Ausnahmen erleiden Betroffene früher oder später einen Rückfall (Rezidiv).
Seit einigen Jahren ist die Behandlung mit TTFields auch für Patienten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowohl bei einem Rezidiv als auch bei einem neu diagnostizierten Glioblastom verfügbar. Die Anwendung erfolgt zu Hause über ein kleines tragbares Gerät, das elektrische Wechselfelder erzeugt, welche die Teilung der bösartigen Tumorzellen, und damit das Wachstum, beeinträchtigen. Die zulassungsrelevanten Daten der EF-14 Phase-3-Studie mit fast 700 Probanden mit neu diagnostiziertem Glioblastom zeigen, dass die Betroffenen im Mittel fast fünf Monate länger leben und nach vier Jahren die Überlebensrate zweieinhalb Mal größer ist, wenn sie die Erhaltungschemotherapie mit Temozolomid mit TTFields kombinieren.
TTFields inzwischen Behandlungsstandard
TTFields ist nach Auskunft von Prof. Dr. Marc-Eric Halatsch Behandlungsstandard beim neu diagnostizierten Glioblastom und kann die Überlebenszeit deutlich verlängern: „Wir sehen Langzeitüberlebende unter den Patienten, die sich für diese Behandlungsmethode entschieden haben“, sagt der Leitende Arzt der Klinik für Neurochirurgie am Kantonspital Winterthur. „Wir sehen aber leider auch, dass einige Patienten weniger gut auf die Behandlung mit TTFields ansprechen, so wie das auch bei anderen Therapieformen der Fall ist.“
Das unterschiedliche Therapieansprechen kann im Moment niemand erklären. „Es gibt derzeit keine eindeutig zu definierenden Biomarker, die eine klare Vorhersage erlauben“, so Hirntumorexperte Halatsch. Das trifft auch auf den Medikamentencocktail CUSP9v3 zu, den der Neurochirurg während seiner Zeit am Universitätsklinikum Ulm zusammen mit einem amerikanischen Kollegen entwickelt hat. Seit ein paar Jahren wird die experimentelle Therapie im Rahmen individueller Heilversuche eingesetzt. In dem Cocktail befinden sich neun Wirkstoffe – darunter Medikamente gegen HIV, Malaria, Pilzerkrankungen, rheumatoide Arthritis, ein Antidepressivum und ein Antibiotikum. Zusätzlich erhalten die Patienten das Chemotherapeutikum Temozolomid in einer niedrigen Dosierung.
CUSP9v3 gut verträglich
„Diese Wirkstoffe haben wir deshalb ausgewählt, weil sie Mechanismen des Tumorwachstums im Bereich verschiedener Signalwege stören und wir wissen, dass ein einzelner Wirkstoff allein diese aggressive Tumorart nicht effektiv bekämpfen kann“, erläutert Marc-Eric Halatsch den konzertierten Angriff. Ein besonderer Pluspunkt ist, dass alle Wirkstoffe schon für andere Indikationen zugelassen und somit verschreibungsfähig sind.
Dass CUSP9v3 gut verträglich ist, zeigen die Ergebnisse einer kürzlich abgeschlossenen klinischen Phase-I-Studie. Zehn Patienten mit Glioblastom-Rezidiv waren in die Studie zur Sicherheit und Verträglichkeit eingeschlossen. Die Studienergebnisse geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Bei drei der zehn Studienteilnehmenden ist nach drei Jahren täglicher Einnahme von CUSP9v3 plus niedrig dosiertem Temozolomid kein Tumor mehr nachweisbar. Studienleiter Halatsch warnt aber davor, die Ergebnisse zu verallgemeinern, da kleine Studien wie diese Verzerrungen unterliegen. „Wir wissen jetzt, dass CUSP9v3 sicher und verträglich ist, aber die tatsächliche Wirksamkeit muss in einer Folgestudie mit einem sehr viel größeren Patientenkollektiv belegt werden.“
Wirksamkeitsstudie in 2022 geplant
Eine solche Wirksamkeitsstudie der Phase II ist in Planung und wird voraussichtlich im kommenden Jahr starten. Die Studie will herausfinden, ob die tägliche Einnahme von CUSP9v3 einschließlich niedrig dosiertem Temozolomid der üblichen adjuvanten Chemotherapie (Telozolomid hoch dosiert über sechs Zyklen) überlegen ist. Da in beiden Studienarmen auch Patienten eingeschlossen werden, die TTFields anwenden, wird eine weitere wichtige Frage geklärt werden können: Profitieren Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom von einer Kombinationsbehandlung aus TTFields und CUSP9v3? Und wenn ja, was bedeutet dies hinsichtlich Lebenszeitgewinn?
Diese Frage beschäftigt natürlich alle Betroffenen und ihre behandelnden Ärzte, aber auch die Wissenschaft in besonderer Weise. Es gibt nämlich Hinweise, dass sich beide Therapiemodalitäten gegenseitig verstärken könnten.
„Aus dem Angriff von verschiedenen Seiten könnte sich ein Additions- oder sogar Synergieeffekt ergeben“, meint Prof. Halatsch, aber im Moment sei das noch Spekulation. Ob sich die Vermutungen bestätigen, untersuchen Halatsch und Kollegen aktuell in präklinischen Studien im Labor. Belastbare Ergebnisse zur Wirksamkeit von CUSP9v3 bei den Betroffenen – mit und ohne TTFields – wird es aber erst in einigen Jahren geben, wenn die klinischen Studien abgeschlossen sind.