Getrennt lebende Eltern müssen sich über Impfung der Kinder einigen
Dabei stritten sich die getrennt lebenden Eltern darüber, ob ihre beiden Söhne nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Masern geimpft werden sollten. Beide Elternteile waren sich anfangs darüber einig, ihre Kinder in der ersten Lebensphase nicht impfen zu lassen. Die Mutter änderte aber ihre Meinung und wollte die Söhne auf den Rat der Kinderärztin hin doch impfen lassen. Der Vater blieb bei seiner impfkritischen Einstellung, heißt es weiter in einer Pressemitteilung des Portals anwalt.de.
Da sich beide nicht einigen konnten, beantragte die Mutter beim Familiengericht die Alleinentscheidungsbefugnis für die Impfungen. Diese steht ihr bei „Angelegenheiten des täglichen Lebens“ zu, die zur Alltagssorge zählen – also Ernährung, Kleidung und Hygiene, der regelmäßige Zahnarztbesuch, die Teilnahme am Ferienlager, der Besuch der Großeltern, die Pflege von Hobbys. Für diese Fragen bekommt der Elternteil, bei dem das Kind gewöhnlich lebt, die Alleinentscheidungsbefugnis. Der Vater beantragte hingegen bei Gericht, es der Mutter zu untersagen, die Kinder ohne seine Zustimmung impfen zu lassen.
Amtsgericht: Impfungen gehören zur Alltagssorge
Als Teil der U-Vorsorgeuntersuchungen gehörten Impfungen zur Alltagssorge, entschied das Amtsgericht Darmstadt. Die Durchführung der Impfungen falle regelmäßig an und damit in den Bereich der Gesundheitssorge, der das Verhalten im Alltag beeinflusst. Werden die Kinder zum Beispiel nicht gegen Tetanus geimpft, könne die Mutter sie nicht überall im Freien spielen lassen. Da es sich bei den Impfungen um empfohlene Schutzimpfungen handele, benötige die Mutter für ihre Durchführung nicht die Zustimmung des Vaters.
Wäre die Mutter gegen eine Impfung der Kinder, müsste sie die Nichtimpfung mit dem Vater abstimmen, denn die Folgen des Nichtimpfens können so gravierend sein, dass es sich nicht mehr um eine alltägliche Entscheidung handelt, sondern die Angelegenheit erhebliche Bedeutung erlangen kann. „Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung“ müssen beide Elternteile gemeinsam entscheiden. Dies sind zum Beispiel die Einwilligung in eine Operation, die Wahl der Schulart, ein Schulwechsel oder ein Urlaub mit einem Kleinkind in einem Land mit schwierigen hygienischen Bedingungen.
Oberlandesgericht: Eltern müssen sich über Impfung einigen
Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts legte der Vater Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt/Main ein. Das hob den Beschluss des Amtsgerichts auf. Die Frage, ob und in welchem Umfang Kinder geimpft werden, sei keine Angelegenheit des alltäglichen Lebens, und eine Differenzierung zwischen der Zustimmung und Verweigerung der Impfung kommt nicht in Betracht, heißt es in der Begründung.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts hat die Regelung des Ob und Wie der Impfung eine erhebliche Bedeutung für die Kinder. Einerseits ist die Impfung mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Andererseits führt die Nichtimpfung zur Gefahr der Ansteckung mit den jeweiligen Krankheiten, die für die Kinder weitere Folgen mit sich bringt.
Impfung ist Angelegenheit von erheblicher Bedeutung
Schon der Verdacht auf Masern, Diphterie oder Keuchhusten führt dazu, dass die Kinder nicht mehr in den Kindergarten oder die Schule dürfen. Die grundlegende Bedeutung der Impfentscheidung der Eltern unterstrich das Oberlandesgericht mit Beispielen aus Berlin und Magdeburg, bei denen nicht geimpfte Kinder das Schulgebäude nicht mehr betreten durften oder die Schule sogar zeitweise ganz geschlossen werden musste.
Dem Gericht zufolge müssen die Eltern die Entscheidung über die Impfung oder Nichtimpfung ihrer Kinder also grundsätzlich gemeinsam treffen, weil es sich nicht um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handelt, sondern um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.
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