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Gesundheitsstadt Berlin: Fünf Jahre Vernetzung von Medizin, Forschung und Wirtschaft

Mittwoch, 6. Mai 2009 – Autor:
Die Gesundheitsbranche ist der wirtschaftliche Hoffnungsträger für die Hauptstadtregion

Wissen schafft Zukunft

Professor Roland Hetzer ist so etwas wie eine Galionsfigur. Das Deutsche Herzzentrum in Berlin war schon bekannt, als die Stadt noch geteilt und – pardon – ökonomisches Brachland war. 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sich viel getan in der Stadt. Jenseits von Politik und Kultur ist eine beachtliche „Wissensstadt“ herangewachsen. Die Anzahl an Hochschulen, die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Charité als größtes Universitätsklinikum Europas und nicht zuletzt das Deutsche Herzzentrum verleihen Berlin Gewicht. Zusammen mit Hunderten forschungsorientierten Technologie- und Pharmaunternehmen bilden sie heute den größten Wissenschaftsballungsraum Deutschlands.

Viele sehen im „Wissen“ Berlins neue Identität. Berlin, so scheint es, springt auf einen Zug, der in den letzten zehn Jahren weltweit an Fahrt aufgenommen hat. Die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms war eine der ganz großen Etappen auf dieser Strecke. Derzeit verdoppelt sich das Wissen in knapp fünf Jahren. Die moderne Bildgebung, die molekulare Medizin, die Stammzellforschung und die Neurowissenschaften sind die Treiber des medizinischen Fortschritts. Auch Berliner Ärzte und Wissenschaftler tragen zu dieser Entwicklung bei. Das Wissenschaftspotenzial der Stadt ist groß.

Sichtbar wird es zum Beispiel auf dem Campus Berlin-Buch. Dort steht seit Anfang des Jahres einer der weltweit stärksten Magnet-Resonanz-Tomographen. Mit dem neuen 7-Tesla-MRT erforschen die Wissenschaftler Herzkrankheiten, aber auch Krebs- und Nervenleiden auf molekularer Ebene. Zugleich ist die neue MR-Anlage die erste Baustufe des „Experimental and Clinical Research Center (ECRC)“. Das Vorzeigeprojekt wird von MDC und Charité gemeinsam für rund 45 Millionen Euro erbaut.

In Adlershof konzentrieren sich die Stärken Berlins in einem noch größeren Technologiepark als in Buch. Auf 420 Hektar ist im Südosten Berlins eine eigene Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft entstanden. 410 Unternehmen und 17 Wissenschaftsinstitute erforschen, entwickeln und produzieren Innovationen mit unaussprechlichen Namen wie Peptidmicroarray Technologie oder Totalsynthese von Prostaglandinen.

Professor Peter Schlag baut gerade das Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC) auf, das seit April zu den von der Deutschen Krebshilfe geförderten Spitzenzentren in Deutschland gehört. Schlag sagt: „Berlins Stärke ist die hochkarätige Forschung. Aber das Potenzial wird noch nicht ausreichend genutzt, um wirklich exzellent zu sein.“ Warum das so sei? Die Gründe sind vielschichtig.

Ein Spitzenstandort definiert sich durch Wissenstransfer. Das heißt, wenn aus Forschung Arznei und Medizintechnik wird. Wenn das passiert, was Charité-Chef Karl Max Einhäupl postuliert: „Wo heute Wissenschaft ist, wird morgen Wirtschaft sein.“ Es gibt solche Erfolgsgeschichten in der Stadt. Unternehmen, die das umsetzen, was die Gesundheitswirtschaft zum Hoffnungsträger macht: Die Nutzung des Wissenschaftsstandortes und seine Verzahnung mit der Wirtschaft. Sie heißen Parexel, Brahms, Jerini oder MagForce Nanotechnologies und es sind ihrer noch viele mehr. Die Berlin Heart GmbH, die 1996 aus Roland Hetzers Herzzentrum hervorging, konnte mit ihren implantierbaren und externen Herzunterstützungssystemen den Umsatz innerhalb der letzten drei Jahre verdreifachen. Und für die Eckert & Ziegler AG, die unter anderem radioaktive Strahlenquellen zur Behandlung von Prostata- und Augenkrebs herstellt, war laut Vorstandsvorsitzendem Andreas Eckert 2008 sogar ein „Hammerjahr“. Der Umsatz stieg um 32 Prozent auf einen Rekordwert von 72 Millionen Euro.

Der Weg von einer Entdeckung bis in den Markt ist lang und kompliziert. Doch Experten sagen, Berlins Wissenstransfer reiche noch nicht, nicht für die wirtschaftliche Zukunft einer Metropolregion. „Das Wissenschaftspotenzial ist groß, aber uns fehlt die Wirtschaftsseite“, sagt Dr. Mathias Bell von der Agentur Ascenion, die Ausgründungen und Patentanmeldungen von Life Science-Instituten der Helmholtz- und Leibnizgemeinschaft begleitet. Die Branche werfe noch zu wenig Rendite ab.

Obwohl Berliner Forscher jedes Jahr über eine Milliarde Drittmittel einwerben, die Stadt 4,5 Prozent ihres Bruttosozialproduktes in die Wissenschaft investiert und zehn Prozent der Forschungsförderung des Bundes nach Berlin fließen, ist die Stadt noch nicht das, was sie eigentlich sein will – ein Mekka der Medizin. Das Millionenprojekt Demenzzentrum ging letztes Jahr nach Köln, auch gelang es der Stadt nicht, eine vom Bundesforschungsministerium ausgelobte Auszeichnung als „Gesundheitsregion“ zu erhalten.

Einen weiteren Dämpfer musste Berlin im vergangenen Jahr durch die vom Lehrstuhl des Wirtschaftsweisen Bert Rürup erstellte „Studie zur Gesundheitswirtschaft der Region Berlin-Brandenburg“ hinnehmen. Ausgerechnet Berlins hoffnungsträchtigste Branche, die Gesundheitswirtschaft, schneidet im Bundesvergleich unterdurchschnittlich ab. Derzeit erwirtschaftet sie nur vier Prozent des Gesamtvolumens. Auch die Wachstumsraten liegen noch zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Je nach Blickwinkel kann man die Studie aber auch positiv deuten. Immerhin bescheinigt sie eine Fortsetzung des Wachstumstrends. So soll die Zahl der Beschäftigten in der Gesundheitsbranche bis zum Jahr 2030 von heute 348 000 auf 368 000 steigen, die Bruttowertschöpfung von heute knapp 14 auf über 20 Milliarden Euro. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Die Region ist erfolgreich, aber noch nicht erfolgreich genug.

Dass noch Luft nach oben ist, liegt zum Teil an der Branche selbst. „Forschung und Kommerzialisierung sind noch immer verschiedene Welten“, meint Dr. Andreas Mätzold, Manager des Campus Berlin-Buch. „Der Weg von einer Entdeckung bis in den Markt ist lang und kompliziert, bis zu fünfzehn Jahren kann er dauern. Daher gibt es in der Forschung wenig Anreize, Projekte in die Anwendung zu überführen.“ Außerdem fehle es den meisten Forschern an Unternehmergeist – ein Defizit, das nach Mätzold schon in der Ausbildung beginnt. „Wie man Erfindungen kommerzialisiert, wird in den naturwissenschaftlichen Fächern nicht gelehrt.“

Rund 20 000 Menschen arbeiten derzeit in der Lifescience-Industrie der Hauptstadtregion, davon 10 000 in der Pharmaindustrie, 7000 in der Medizintechnik und 3700 in Biotechunternehmen. Erst Mitte der 90er Jahre hat sich die Biotechnologie weltweit zu einer Branche entwickelt. Mit heute 194 Biotech-Unternehmen hat die Region Berlin sogar den Standort München eingeholt. Dennoch wurde mit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes der anfängliche Bio-Gründungs-Boom deutlich abgebremst. Gingen Ende der 90er Jahre aus Bucher Forschungseinrichtungen jedes Jahr sechs Spin-offs hervor, so sind es heute nur noch zwei. „Das fehlende Eigenkapital ist das Problem, nicht die fehlende Förderung“, sagt Dr. Kai Bindseil, Leiter des Netzwerks Biotop. „Bei den bundesweiten Forschungsmitteln liegen die Berliner Lebenswissenschaften ganz vorn.“ Andere sehen die Länder in der Pflicht. Dirk Radzinki, Geschäftsführer der Humboldt Innovations GmbH, findet es zum Beispiel unverständlich, warum das Land Berlin die Universitäten nicht bei Ausgründungen unterstützt. „In den Universitäten liegt doch das große Potenzial“, sagt Radzinki.

Um den Wissenstransfer zu fördern, haben die großen Einrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Humboldt Universität eigene Gesellschaften gegründet, die Kooperationen mit der Industrie und Ausgründungen vorantreiben. Letztes Jahr hat die Humboldt Innovation einen 50-Millionen-Euro-Fonds mit Hilfe der Investmentbank First London aufgelegt. „Das Geld wird in forschungsbasierte Gründungen aus der Universität angelegt“, sagt Radzinski.

Auch die TU Berlin ist mit dem Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie (ZIG) in Sachen Wissensvernetzung unterwegs. „Die Ressource Wissen bestimmt die Zukunft“, sagt ZIG-Sprecher Prof. Klaus Dirk Henke, „deshalb vernetzen wir Wissenschaftler, um die vorhandenen Kompetenzen in der Gesundheitstechnologie und Gesundheitswirtschaft weiter auszubauen.“

Andreas Mätzold vom Bucher Campus hält solche Initiativen für wichtig, „um den Wissenschaftsstandort zu stärken“. In Berlin-Buch haben sich 48 Unternehmen rund um das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und das Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) angesiedelt. Grundlagenforschung wird hier betrieben, damit neue Wirkstoffe für Arzneimittel und neue Therapie- und Diagnostikverfahren entstehen. Durch jüngste Entdeckungen können die Wissenschaftler zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen, ob ein Dickdarmtumor metastasieren wird. In Kooperation mit Ärzten der Charité werden solche Erkenntnisse dann in die klinische Anwendung überführt. Manchmal geht aus Bucher Allianzen auch ein erfolgreiches Spin-off hervor. Dass der Campus dem expandierenden Ausgründungs-Unternehmen Glycotype keinen zusätzlichen Produktionsraum bieten konnte, weil er aus allen Nähten platzt, gehört zu den vermeidbaren Pannen der Stadt. Glycotype hat die benötigte Produktionsfläche jetzt in Heidelberg gefunden.

In Berlin-Wedding läuft unterdessen das weltweit größte Kunstherzprogramm. 1400 Kunstherzen haben Hetzer und seine Mannschaft seit Bestehen des Herzzentrums implantiert. Spitzenmedizin wird von Köpfen wie Hetzer gemacht. Ob es genug davon gibt, hängt vom Blickwinkel ab. Peter Schlag meint, „wir werden erst exzellent sein, wenn die Besten zu uns kommen“. Aber kommen die auch? Schlag zögert: „Es sind schon einige da.“

Auch in der Krankenversorgung geht es um Köpfe. In allen Bereichen werden nach einer IHK-Erhebung mehr Fachkräfte gebraucht. Dabei kommt eine neue Herausforderung auf die Politik und die Gesundheitswirtschaft zu. „Die alternde Bevölkerung fragt neue Produkte und Dienstleistungen nach“, sagt Klaus Dirk Henke. „Dadurch ergeben sich auch zahlreiche Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt“. So gehören nach Henke die study nurse, der chirurgisch-technische Assistent, die Tele-Gesundheitsschwester oder der patient scout zu den neuen Berufen. Henke meint, es gebe noch viel zu tun, die Aus- und Weiterbildungsförderung auf den wachsenden Bedarf der Gesundheitswirtschaft abzustimmen. Man denke nur an den gesamten Bereich der Prävention, auch hier würden neue Berufe entstehen.

Am Charité Comprehensive Cancer Center sind derweil Mitarbeiter mit einer Mischung aus Multimedia-, IT- und Informatikwissen am Werk. Sie tragen sämtliche Patienten- und Forschungsdaten von drei Charité-Standorten zusammen und vereinheitlichen die Dokumentation. Sämtliche Ärzte des interdisziplinären, onkologischen Zentrums sollen Zugriff auf die Daten haben, ebenso die niedergelassenen Ärzte, mit denen das CCCC kooperiert. „Eine gewaltige und nicht ganz einfache Aufgabe“, meint Schlag. Doch was bringt die Wissens- und Gesundheitsstadt Berlin voran? „Dass wir alle an einem Strang ziehen und uns noch besser vernetzen“, lautet der Expertenrat.

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