Gesundheitspersonal: Mehr als die Hälfte kennt sexuelle Belästigung durch Patienten

Menschliche und körperliche Nähe ist ein Wesenselement von Berufen im Gesundheitswesen. Dies kann ein Nährboden für sexuelle Übergriffe sein. – Foto: AdobeStock/Robert Kneschke
Deutlich mehr als die Hälfte der in Gesundheits- und Wohlfahrtseinrichtungen Beschäftigten hat in den vergangenen zwölf Monaten sexuelle Belästigung oder sogar Gewalt erlebt – durch Menschen, die von ihnen beruflich gepflegt oder betreut werden. Das ergibt sich aus einer Studie der „Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege" (BGW).
Potenzielle Täter: Patienten, Klienten, Bewohner, Angehörige
Befragt wurden im Rahmen der Studie 901 Beschäftigte aus 60 Einrichtungen, zum Beispiel Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Ziel war es, differenziertes Wissen zu erhalten über die Verbreitung sexueller Belästigung und Gewalt, die von Patienten, Klienten und Bewohnern sowie deren Angehörigen ausgehen.
Gesundheitsberufe: Sexuelle Übergriffe in Zahlen
- 67,1 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal mit verbaler sexueller Belästigung und Gewalt konfrontiert gewesen zu sein.
- 62,5 Prozent berichten von mindestens einem Übergriff in non-verbaler Form.
- 48,9 Prozent haben körperliche sexuelle Belästigung und Gewalt durch von ihnen gepflegte oder betreute Personen erlebt.
„Demnach ist die Betroffenenrate im Gesundheits- und Sozialwesen hoch“, so die Bewertung der Studienergebnisse durch die BGW. Pflegekräfte erleben demnach vor allem verbale Belästigung, Beschäftigte von Behindertenwerkstätten non-verbale.
Drei Formen sexueller Belästigung oder Gewalt
Grundsätzlich werden drei Formen oder Dimensionsstufen sexueller Belästigung unterschieden: verbale, non-verbale und physische.
1. Verbale sexuelle Belästigung:
Hierunter fallen alle unerwünschten Bemerkungen, Kommentare und Aufforderungen mit sexuellem Inhalt, zum Beispiel:
- anzügliche Witze
- zweideutige Bemerkungen
- Fragen zu Privatleben und Intimsphäre
- Distanzlose oder beleidigende Bemerkungen zu Kleidung, Aussehen und Intimsphäre
- Aufforderungen wie „Komm doch mal her und setz dich auf meinen Schoß.“
- sexuell oder unangemessen formulierte Einladungen zu Verabredungen.
2. Non-verbale sexuelle Belästigung
- anzügliche Blicke und Starren
- Pfiffe
- E-Mails und SMSs mit sexuellem Inhalt
- Aufdringliche Kontaktaufnahme in sozialen Netzwerken
- Aufhängen pornografischer Bilder und Verbreiten pornografischer Videos
- Unsittliches Sich-Entblößen.
2. Körperliche sexuelle Belästigung:
Körperliche sexuelle Belästigung liegt immer dann vor, wenn die körperliche Distanz von etwa einer Armlänge nicht gewahrt wird, oder die belästigte Person berührt wird. Beispiele sind:
- Tätscheln, Streicheln, Umarmen, Küssen oder Massieren
- scheinbar zufällige Berührungen
- Herandrängeln
- Körperliche Gewalt wie sexuelle Übergriffe, Greifen an Po oder Brust und Vergewaltigung.
(Quelle: Kanzlei Gansel Rechtsanwälte, Berlin)
Sexuelle Übergriffe machen Pflegende psychisch krank
Die BGW-Studie sieht auch klare Zusammenhänge zwischen dem Auftreten sexueller Übergriffe und der psychischen Gesundheit der Beschäftigten. Wenn Befragte angaben, häufiger sexuelle Belästigung und Gewalt erlebt zu haben, berichteten sie auch vermehrt über Depressivität, emotionale Erschöpfung und psychosomatische Beschwerden.
Mangelt es in Einrichtungen an Unterstützungsangeboten?
Darüber hinaus wurde untersucht, wie bekannt verschiedene Konzepte und Unterstützungsangebote bezüglich sexueller Belästigung und Gewalt in den betrieblichen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens sind. Immerhin ein Drittel der Befragten erklärt, betriebliche Unterstützungsangebote zur Prävention von sexueller Belästigung und Gewalt und zu Hilfe für Betroffene in ihrem Unternehmen nicht wahrzunehmen.
BGW: „Klare Haltung und Strategie im Unternehmen wichtig“
„Ein wichtiger Ansatzpunkt, denn eine klare Haltung und Strategie im Unternehmen zu diesem Thema ist wichtig“, heißt es bei der BGW. „Informieren Arbeitgeber über Präventions- und Hilfsmaßnahmen, signalisieren sie ihren Beschäftigten damit auch, dass diese sexuelle Belästigung und Gewalt nicht hinnehmen müssen.“
BGW unterstützt Prävention im Unternehmen und Betroffene
Die BGW unterstützt nach eigenen Angaben Unternehmen im Gesundheits- und Sozialsektor, Übergriffen auf Beschäftigte bestmöglich vorzubeugen und sie darauf vorzubereiten, was nach einem Vorfall zu tun ist. Eine wichtige Rolle kommt demnach Führungskräften zu, die beispielsweise in Seminaren für das Thema sensibilisiert werden und erfahren, wie sie ihre Beschäftigten schützen und unterstützen können.