Geriater widersprechen Barmer-Krankenhausreport
Am Mittwoch letzter Woche hat die Barmer ihren aktuellen Krankenhausreport vorgestellt. Die Botschaft, festgehalten in der Überschrift der begleitenden Pressemitteilung: „Ältere Patienten sind in Deutschland nicht optimal versorgt.“ Finanzielle Fehlanreize würden etwa dafür sorgen, dass Geriatrie-Patienten länger als nötig oder kürzer als erforderlich im Krankenhaus versorgt werden, hieß es. Bemängelt wurden außerdem massive Steigerungsraten bei der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung, die laut Report-Autor Professor Boris Augurzky „nicht rein durch den demografischen Wandel erklärbar sind.“ Alles in allem konnte durchaus der Eindruck entstehen, dass in der Geriatrie nicht der Patient, sondern die Kassenlage im Mittelpunkt steht.
Falsch und fahrlässig
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) ist darüber ziemlich empört. Die Darstellungen seien falsch und fahrlässig, erklärte DDG-Präsident Professor Jürgen M. Bauer am Freitag. „Mich ärgern vor allem die verkürzten Darstellungen der Report-Ergebnisse. Diese suggerieren der Öffentlichkeit, dass für die Geriatrie finanzielle Interessen im Vordergrund stehen und nicht der individuelle Behandlungsbedarf der Patienten“, sagte er. Der Geriater, der das Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg leitet, betonte, dies zeichne ein völlig falsches Bild. „Natürlich steht für uns Ärzte und unsere Teams das Wohlergehen unserer Patienten an erster Stelle.“
Streitpunkt ist die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung
Ein besonderer Streitpunkt ist die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung (GFKB). Sie kann nach der Behandlung einer akuten Erkrankung direkt im Krankenhaus erfolgen und auch auf eine klassische Reha-Behandlung vorbereiten. Anders als bei der sonst üblichen Fallpauschale können Kliniken hier den Aufwand und die Verweildauer abrechnen – entweder für 7, 14 oder 21 Tage. Die Barmer sieht darin einen nicht mehr zeitgemäßen finanziellen Fehlanreiz. Im Jahr 2006 wurden demnach 58 Prozent der GFKB-Patienten nach 14 Tagen entlassen, dagegen waren es im Jahr 2015 bereits 75 Prozent. Parallel dazu sank der Anteil sowohl bei der 7-tägigen- als auch bei der 21-tägigen GFKB deutlich. „Aus rein medizinischer Sicht darf man zumindest ein großes Fragezeichen hinter diese Praxis setzen“, sagte Barmer-Chef Straub dazu.
Außerdem ist laut Barmer-Report die Zahl der Geriatrie-Patienten mit einer GFKB im gleichen Zeitraum um 180 Prozent gestiegen, und zwar von 79.600 auf 222.600 Patienten. Auch hier zweifeln die Autoren an der medizinischen Notwendigkeit. Professor Boris Augurzky vom RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sagte, das Thema sei auch ökonomisch relevant. Schließlich sei eine GFKB bei Oberschenkelhalsbruch mit 14 Behandlungstagen um 950 Euro teurer als eine klassische Rehabilitation.
Äpfel mit Birnen verglichen
Das kann man den Krankenhäusern allerdings nicht zum Vorwurf machen, zumal Rehakliniken aus ganz anderen Töpfen bezahlt werden als Akutkliniken. Es macht auch keinen Sinn die eine Rehaform gegen die andere auszuspielen, so wie es der Barmer-Report indirekt tut. Danach sind mehr Patienten der geriatrischen Frührehabilitation pflegebedürftig als die in der klassischen Reha, was auf den ersten Blick eine schlechtere Qualität suggeriert.
Laut Geriater Bauer handelt es sich indes um zwei höchst unterschiedliche Patientengruppen. In den Akutkliniken erhielten die älteren Patienten eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, damit sie trotz der funktionellen Beeinträchtigung durch ihre akuten und chronischen Erkrankungen wieder nach Hause zurückkehren könnten, sagte er. Oftmals sei im Anschluss an die geriatrische Frührehabilitation noch eine stationäre geriatrische Rehabilitation erforderlich, um dieses Behandlungsziel zu erreichen. „In vielen Fällen könnten die älteren Patienten sogar ohne eine vorgeschaltete Frührehabilitation gar nicht in die stationäre Rehabilitation aufgenommen werden“, so Bauer.
Neben der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie kritisierte auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft den Barmer-Krankenhausreport. Statt Vorwürfen wünsche man sich mehr Unterstützung, hieß es von dort. Schließlich verweise der Report selber darauf, dass das Durchschnittsalter der untersuchten Patienten bei 84 Jahren liegt.