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Gehirnerschütterung im Sport: Die unterschätzte Gefahr

Freitag, 20. September 2019 – Autor:
44.000 Gehirnerschütterungen werden in Deutschland jährlich bei Sportlern diagnostiziert - bei dreimal so hoher Dunkelziffer. Falscher Ehrgeiz und Unkenntnis bei Athleten wie Vereinen führen oft zu einer Verharmlosung. Dabei ist die "Commotio" eine ernsthafte Verletzung mit möglichen gravierenden Folgen. Kopfbälle etwa können das Gehirn langfristig schädigen – vor allem bei jüngeren Spielern.
Junger Fußballspieler im blauen Trikot macht Kopfball und schaut grimmig

Spielen, bis der Arzt kommt: Kopfbälle gelten als heroisch. Die Risiken für das Gehirn, den hochempfindlichen „Prozessor“ des Menschen, werden jedoch häufig unterschätzt. – Foto: ©Blend Images - stock.adobe.com

Kopfballstarke Fußballspieler gehören zu den Helden der Moderne. So hat das „Fußball-Observatorium“ in der Schweiz einen Berg an Daten ausgewertet, um herauszufinden, dass Marcelo Guedes, Verteidiger von Olympique Lyon, aktuell der beste Kopfballspieler Europas ist. Doch die von Fans als „Könige der Lüfte“ oder „die besten Luftkämpfer“ verehrten Spieler gehören – nüchtern betrachtet – auch in die Kategorie „spielen, bis der Arzt kommt“. Oft kommt es bei Kopfbällen oder Spielerkollisionen zu einer Gehirnerschütterung – im Profi- wie im Freizeitsport. Experten sprechen von einer unterschätzten Gefahr unter Sportlern wie Vereinen. "Es muss anerkannt werden, dass eine Gehirnerschütterung eine ernsthafte Verletzung ist, deren Folgen komplex sind und die daher interdisziplinär behandelt werden muss“, sagt Andreas Gonschorek, Chefarzt des Neurotraumatologischen Zentrums am BG-Klinikum in Hamburg.

Gehirnerschütterungen im Sport: Dunkelziffer von 130.000 Fällen

Insgesamt 270.000 Personen erleiden jährlich in Deutschland ein Schädel-Hirn-Trauma. Allein im Sport werden rund 44.000 Gehirnerschütterungen diagnostiziert. Nach Schätzungen der Hannelore Kohl Stiftung, die sich mit der Initiative „Schütz deinen Kopf! Gehirnerschütterungen im Sport“ für Prävention und Aufklärung einsetzt, liegt die Dunkelziffer rund dreimal so hoch. Der Grund liegt neben der Unkenntnis bei Spielern und Trainern vor allem im Wunsch der Sportler begründet, wieder auf den Platz zurückzukehren.

Kopfbälle: Aufprall mit bis zu 100 km/h

Studien Zufolge haben beispielsweise Kopfbälle einen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns, auf Leistungsfähigkeit und Denkvermögen. Als besonders empfindlich gilt hier das sich entwickelnde Gehirn bei Jugendlichen. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern können Fußbälle auf dem Kopf aufschlagen. Bei einem Kopfball werden auf der Stirn Kräfte von rund 400 Kilogramm frei. Die von Ärzten für den Jugendfußball empfohlene Grenze von 900 Kopfbällen im Jahr wird nach Einschätzung von Insidern häufig überschritten.

Unwissen, Ignoranz und falscher Ehrgeiz

Unwissen, Ignoranz und falscher Ehrgeiz können so zu einer Gefahr für die Gesundheit werden. "Ein Beispiel ist der Fußballer Christoph Kramer“, erzählt Chefarzt Gonschorek. „Er hat im WM-Finale erst mal weitergespielt, aber dann ging es ihm richtig schlecht." Ein weiteres Beispiel ist die ehemalige Handball-Torhüterin Pauline Radke. Wie viele Kopftreffer sie in 17 Jahren Leistungshandball kassiert hat, kann sie nicht sagen. Was sie aber sagen kann, ist: Sie leidet jetzt am „postkommotionellen Syndrom“, einem Krankheitsbild, das sich im Anschluss an Gehirnerschütterungen ergeben kann (Fachbegriff für Gehirnerschütterung: Commotio cerebri). Ex-Torhüterin Radke sagt: "Nach einem Kopftreffer hatte man zwar Kopfschmerzen, aber man wollte so schnell wie möglich wieder ins Training. Man hat das, da bin ich ehrlich, einfach nicht ernst genommen." Die Medizin kann Schäden durch Gehirnerschütterung unter anderem durch Bluttests feststellen.

Symptome: Müdigkeit, Panikattacken, Konzentrationsstörungen

Seit einem Sturz im Juni hat die ehemalige Leistungssportlerin mit Kopfschmerzen, Müdigkeit, Panikattacken und Konzentrationsstörungen zu kämpfen, die ihr Leben extrem einschränken. "Das postkommotionelle Syndrom könnte gerade deshalb aufgetreten sein, weil es nicht die erste Gehirnerschütterung war." Mit Unterstützung der „ZNS - Hannelore Kohl Stiftung“ kämpft sich die 33-Jährige in den Alltag zurück.

US-Fußball: Kopfballverbot für Kinder

"Der Spieler darf, wenn der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung besteht, auf gar keinen Fall selbst entscheiden, dass er weiterspielt", sagt Neurologe Gonschorek, der seit Jahren für einen aufmerksamen Umgang mit Schädelhirnverletzungen wirbt. "Es gab einen großen Wissenszuwachs, aber diese Erkenntnisse auch im Sport zu verankern, ist immer noch sehr schwierig." Immerhin: Zumindest der amerikanische Fußballverband „US Soccer“  führte vor drei Jahren als weltweit erster ein Kopfballverbot für Kinder unter elf Jahren ein.

Foto: fotolia.com/Blend Images

Hauptkategorie: Medizin
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