"Gehen Sie besser nicht zum Screening!"
Dienstag, 18. März 2014
– Autor:
Cornelia Wanke
„Fragen Sie niemals Ihren Bankberater, gehen Sie nie zum Arzt – außer, es tut höllisch weh – und machen Sie bloß keine Check-ups“. Das sind – mit einem kleinen Augenzwinkern versehen – die Botschaften, die Prof. Gerd Gigerenzer bei einer Lesung der Buchhandlung Lehmanns in der Berliner Kalkscheune dem Publikum mit auf den Weg gab.
Professor Gerd Gigerenzer mahnt: "Informieren Sie sich selbst!"
Der Psychologe und preisgekrönte Buchautor übte einige Kritik am deutschen Gesundheitswesen und hielt ein flammendes Plädoyer für informierte Patienten: „Ein mündiger Bürger in einer technologisierten Welt muss nur lesen und schreiben können – und statistisch denken.“ Das einzige, was fehle, sei der letzte Punkt. „Ich vermute, dass man uns von manchen politischen Entscheidungen einfach weghalten möchte“, sagte Gigerenzer und mahnte: „Wer den Mut hat, statistisch zu denken, der kann auch die Risiken einer Entscheidung verstehen.“
Als praktisches Beispiel aus dem Gesundheitswesen nannte Gigerenzer die „alle paar Jahre wiederkehrende Antibabypillen-Panik“ in Großbritannien: „Da wurde die Nachricht verbreitet, dass die Antibabypille der dritten Generation ein um 100 Prozent erhöhtes Thromboserisiko mit sich bringt.“ Der Schrecken der Frauen sei damals groß gewesen. So groß, dass diese die Pille absetzten – und es im Folgejahr Tausende von ungewollten Schwangerschaften und 13.000 Schwangerschaftsabbrüche mehr in Großbritannien gab. „Dabei war gar nicht klar, auf was sich die 100 Prozent beziehen.“ Diese Massenpanik habe nicht nur zu immensen Kosten im Gesundheitswesen geführt, sondern auch zu großem Leid bei den betroffenen Frauen. Gigerenzer: „Und das nur, weil keiner die Statistik verstand.“
Beim Brustkrebs-Screening sollten Frauen nach Nutzen und Schaden fragen
Fälle wie diese gebe es – auch im deutschen - Gesundheitswesen vielfach. „Die Mehrzahl der Ärzte in Deutschland versteht zum Beispiel die Ergebnisse von Früherkennungstests nicht“, betont Gigerenzer. Dabei will er den Medizinern keinen Vorwurf machen: „Wir müssen endlich das Medizinstudium ändern, damit Ärzte lernen, die Rechnung mit dem Risiko zu verstehen.“ Denn dass nach dem Brustkrebs-Screening statt fünf nur vier von 1.000 Frauen sterben, bedeute eben nicht, dass die Sterblichkeitsrate dadurch um 20 Prozent sinkt. „Bei solchen Zahlen sollten bei Ihnen also immer die Alarmglocken läuten“, so der renommierte Wissenschaftler. Sein Rat: „Fragen Sie immer nach absoluten Zahlen – und fragen Sie Ihren Arzt auch, was der Schaden und der Nutzen einer Früherkennung ist.“ Zwischen 50 und 200 von 1.000 Frauen würden zum Beispiel durch das Brustkrebs-Screening fälschlicherweise in einen Alarmzustand versetzt. „Dann verläuft Ihr Leben vielleicht von einer Mammographie zur anderen.“ Würde dagegen Brustkrebs bei einer Frau entdeckt, so bedeute das nicht automatisch, dass sie dann auch von einer Behandlung profitiert. „In diesen Fällen entsteht nur Schaden.“
Selbst der Entdecker des PSA-Tests würde diesen lieber wieder abschaffen
Ähnliches gelte für den PSA-Test. „Hier gibt es keinen Nachweis, dass durch das Screening die Krebssterblichkeit reduziert wird“, betont Gerd Gigerenzer. „Ein Fünftel der Männer hat sogar einen massiven Schaden dadurch: „Würden wir alle positiv Getesteten behandeln, dann hätten wir ein Heer von inkontinenten und impotenten Männern.“ Selbst der Entdecker des Tests würde ihn heute lieber wieder abschaffen, so der Wissenschaftler. Drei Probleme der Ärzte macht Gigerenzer aus: „Erstens Zahlenblindheit: Ein Drittel der Ärzte weiß die Bedeutung von Statistiken nicht recht, zweitens Konflikte zwischen den (ökonomischen) Eigeninteressen der Mediziner und den Interessen der Patienten und drittens die defensive Medizin, die einen Arzt dazu bringt, seinem Patienten etwas Anderes zu raten als er seinen eigenen Angehörigen raten würde.“
Der Psychologe, der am Max-Planck-Institut in Berlin auch die Abteilung Adaptives Verhalten und Kognition und das Harding-Zentrum für Risikokompetenz leitet, ließ seine Zuhörer aber nicht in völliger Unsicherheit von dannen ziehen, sondern ermunterte diese dazu, mehr Mut zur Information und Entscheidungsfindung zu haben: „Klagen nützt nichts – nehmen Sie Ihr Leben selbst in die Hand!“
Foto: Kathleen Friedrich, Ärztekammer Berlin