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Früherkennung kann Darmkrebs verhindern

Donnerstag, 1. März 2012 – Autor:
PD Dr. Severin Daum, Koordinator des Darmkrebszentrums an der Charité, über die Chancen der Früherkennung und bessere Behandlungserfolge beim Dickdarmkrebs
PD Dr. Severin Daum

PD Dr. Severin Daum

Herr Dr. Daum, Deutschland war 2002 weltweit eines der ersten Länder, das Darmspiegelungen als Früherkennungsprogramm für Darmkrebs eingeführt hat. Trägt das Programm schon erste Früchte?

Daum: Zahlen aus Baden Württemberg deuten daraufhin: Dort sinkt die Sterblichkeit an Darmkrebs seit Einführung der Vorsorgekoloskopie.

Während die Zahl der Krebsfälle insgesamt steigt.

Daum: Der Epidemiologe Professor Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat in einem Modell ausgerechnet, dass zwischen 2002 und 2010 rund 100 000 Menschen eine Darmkrebserkrankung erspart geblieben ist, weil sie sich einer Darmspiegelung unterzogen haben. Bei über 47 000 Menschen wurde der Krebs immerhin in einem so frühen Stadium entdeckt, dass er geheilt werden konnte.

Früherkennung kann Darmkrebs sogar verhindern?

Daum: Im Rahmen einer Darmspiegelung können Polypen abgetragen werden, die zum Zeitpunkt der Untersuchung noch harmlos sind, die sich aber im Laufe der Zeit zu Krebs entwickeln würden. Insofern ist die Früherkennung beim Darmkrebs eine echte Vorsorge.

Wie oft werden die Gastroenterologen fündig?

Daum: Bei etwa 20 bis 50 Prozent der Patienten finden wir kleinere Polypen, also sehr frühe Fälle von Krebsvorstufen. Etwa ein bis fünf Prozent der Patienten haben zum Zeitpunkt der Untersuchung einen grossen Polypen oder ein frühes Karzinom, das aber in der Regel gut operabel und heilbar ist. Bei einem sehr kleinen Teil der Patienten entdecken wir allerdings Karzinome im fortgeschrittenen Stadium, zum Teil schon metastasiert.

Nun haben die Deutschen erst ab dem 55. Lebensjahr Anspruch auf eine Darmspiegelung. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

Daum: Für die Durchschnittsbevölkerung ja. Anders sieht es bei Menschen aus, die einen Verwandten ersten Grades mit Darmkrebs in der Familie haben. Wenn zum Beispiel ein Elternteil mit 50 Jahren an Darmkrebs erkrankt ist, sollte der Sohn oder die Tochter zehn Jahre früher, also schon mit 40 Jahren zur Darmspiegelung gehen bzw. sogar eine Stelle zur genetischen Beratung aufsuchen. Auch Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sollten sich unter bestimmten Umständen früher und öfters untersuchen lassen als die Normalbevölkerung.

Trotz überzeugender Ergebnisse scheint die Darmspiegelung nicht gerade beliebt zu sein. Nur weniger als 10 Prozent nehmen an dem Screening teil. Wären die immunologischen Stuhltests eventuell eine Alternative zur invasiven Koloskopie?

Daum: Bislang gibt es noch keine gesicherten Daten, ob die immunologischen Tests tatsächlich Vorteile für die Patienten bringen. Es laufen aber derzeit mehrere grosse Studien, in denen die Tests mit den herkömmlichen Methoden verglichen werden. Gut möglich, dass sie in ein paar Jahren den bisherigen Test auf verstecktes Blut im Stuhl ersetzen werden. Eine Alternative zur Koloskopie wird aber ein solcher Test nie sein. Wenn es einen Hinweis auf Darmkrebs gibt, muss sich der Patient in jedem Fall einer Darmspiegelung unterziehen.

Auch ohne Tests und Darmspiegelung: Bestimmte Symptome können Hinweise auf Darmkrebs sein. Welche Anzeichen sollten die Patienten auf keinen Fall verschleppen?

Daum: Blut im Stuhl, Gewichtsabnahme, Blutarmut, Bauchschmerzen oder auch Schluckstörungen beim Speiseröhrenkrebs. Patienten, die eines oder mehrere dieser Symptome scheinbar grundlos haben, gehören unbedingt abgeklärt.

Es heisst, dass Darmkrebs im Frühstadium zu 90 Prozent heilbar ist. Wie sieht es beim fortgeschrittenen Darmkrebs aus?

Daum: Die Prognose hängt von vielen Faktoren ab, vom Stadium der Erkrankung, von der Art und Lokalisation des Tumors, aber auch vom Alter und der Verfassung des Patienten. In den vergangenen Jahren ist aber viel Bewegung in die Therapie von Darmkrebs gekommen. Viele Patienten können heute bei besserer Lebensqualität sehr viel länger mit der Krankheit leben.

Welche Neuerungen haben dazu beigetragen?

Daum: Zum einen sind die Operationsverfahren schonender und weniger belastend für die Patienten geworden. Gleichzeitig sind die multimodalen Therapien optimiert worden. Daneben sind die zielgerichteten Wirkstoffe in der Chemotherapie beim Darmkrebs in der Routineversorgung angekommen.

Das traditionelle Trio von Operation, Bestrahlung und Chemotherapie konnte beim Darmkrebs um zielgerichtete Medikamente erweitert werden?

Daum: Die neuen Wirkstoffe, so genannte Antikörper, greifen auf molekularer Ebene in den Tumorstoffwechsel ein. Diese Medikamente machen häufig nur geringe zusätzliche Nebenwirkungen, verbessern aber in Kombination mit der Operation und der Chemotherapie in vielen Fällen die Behandlungsergebnisse erheblich.

Was bedeutet das für die Patienten in Lebensjahren gemessen?

Daum: Die Prognose ist individuell so unterschiedlich, dass sich diese Frage nicht pauschal beantworten lässt. Lediglich für Patienten, die sich in einer Palliativsituation befinden, kann man sagen: Vor 20 Jahren betrug die mittlere Überlebenszeit ein knappes Jahr, heute können diese Patienten noch zwei bis zweieinhalb Jahren leben.

Auch wenn es in diesem Zusammenhang kalt klingt. Die Kosten für so eine multimodale Therapie müssen immens sein.

Daum: Für zwei Jahre Krebstherapie dieser Art gibt die Krankenkasse rund 200 000 Euro aus. Die Gesamtkosten der Darmkrebsbehandlung übersteigen jedenfalls deutlich die Ausgaben für präventive Darmspiegelungen im Rahmen des Screenings. Auch das ist ein Aspekt, warum Deutschland international das aufwändigste Darmkrebs-Früherkennungsprogramm betreibt.

Hauptkategorien: Prävention und Reha , Medizin

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