Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Fortschritte in der Behandlung von Patienten mit Epilepsie

Donnerstag, 30. Juli 2015 – Autor:
Menschen mit allen Formen der Epilepsien brauchen Spezialisten. Am Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg bündeln Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen ihre Kompetenzen.
Schwere Epilepsien können heute besser behandelt werden

Innovative Therapieverfahren wie die Tiefe Hirnstimulation sind Dinge, die es in dieser Gesamtheit nur an einer spezialisierten Einrichtung gibt

In Deutschland sind etwa 500.000 Menschen an einer Epilepsie erkrankt. Bei den Patienten treten sehr unterschiedliche Arten epileptischer Anfälle auf. Bei einigen Anfällen kommt es zum Beispiel zu kurzen Aussetzern des Bewusstseins oder zu wiederholt auftretenden stereotypen Bewegungen. Diese Ereignisse werden von Außenstehenden oft nicht als epileptische Anfälle erkannt. Andere Anfälle – wie etwa der Grand mal – sind für Außenstehende zunächst sehr erschreckend. Ob und wann ein Anfall auftritt, ist für die Patienten nicht voraussehbar – viele haben daher Angst vor dem nächsten epileptischen Anfall. Die gute Nachricht: Mit modernen Medikamenten lässt sich bei vielen Patienten Anfallsfreiheit erreichen. Die schlechte: Bei etwa einem Drittel der Patienten helfen die Medikamente nicht. Die Lebensqualität dieser Patienten ist durch die Anfälle oft enorm beeinträchtigt, und es müssen teilweise erhebliche Einschränkungen in Kauf genommen werden.

Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg hat sich auf Patienten mit schwer behandelbaren Epilepsien spezialisiert

In spezialisierten Epilepsie-Zentren wie dem Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg (EZBB) im Verbund der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel werden Patienten mit einer Epilepsie nach neuestem wissenschaftlichen Kenntnisstand ganzheitlich behandelt. Das EZBB ist ein kooperatives Netzwerk, in das in der Hauptstadtregion unter anderem das Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH) in Berlin, die Epilepsieklinik Tabor in Bernau und die Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin eingebunden sind.

Die Möglichkeiten des EZBB gehen weit über die einer Klinik für Allgemeine Neurologie hinaus: Langzeit-Video-EEG-Diagnostik, prächirurgische Epilepsiediagnostik und operative Epilepsietherapie, ein spezialisierter Bereich für die neurologische Schlafmedizin und innovative Therapieverfahren wie die Tiefe Hirnstimulation sind Dinge, die es in dieser Gesamtheit nur an einer spezialisierten Einrichtung gibt. „Die Komplextherapie für chronisch schwer behandelbare Epilepsien gehört zweifelsfrei zu den Besonderheiten unseres Zentrums, wobei eine eingehende Diagnostik die entscheidenden Weichen stellt“, sagt Professor Martin Holtkamp, Medizinischer Direktor des EZBB, der zugleich Oberarzt und Leiter der Forschungsgruppe Klinische und Experimentelle Epileptologie an der Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist.

Wer sich am EZBB ambulant oder stationär behandeln lässt, wird zunächst auf „Herz und Nieren“ geprüft. Die Ärzte ermitteln, ob die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, ob psychosomatische und psychiatrische Komorbiditäten vorliegen und ob eventuell ein operativer Eingriff in Frage kommt. Unter Umständen wird auch die Möglichkeit einer diätetischen Behandlung mit der ketogenen Diät oder der modifizierten Atkins-Diät geprüft. Vor allem gehen die Ärzte den Ursachen der epileptischen Anfälle auf den Grund, denn ein epileptischer Anfall ist nur Symptom einer Erkrankung, die sehr unterschiedliche Ursachen haben kann.

„Manchmal reicht schon die richtige Kombination verschiedener Medikamente oder zusätzlich eine spezielle Diät, um die Anfallshäufigkeit bei Patienten mit zuvor schwer behandelbaren Epilepsien nachhaltig zu verringern“, erklärt Professor Holtkamp. Schließlich habe es in den letzten Jahren enorme Fortschritte bei den Antiepileptika gegeben, insbesondere im Hinblick auf deren Verträglichkeit.

Operation kann ein Leben ohne Anfälle ermöglichen

Führt die medikamentöse Behandlung nicht zum Erfolg, stehen potenzielle weitere Therapieverfahren zur Verfügung. Mit der prächirurgischen Epilepsiediagnostik können die Ärzte prüfen, ob die operative Entfernung der Anfallsregion möglich ist. Rund 120 Patienten durchlaufen im KEH jedes Jahr dieses spezielle Programm. Ist der Epilepsie-Herd auf ein Gehirnareal beschränkt, kann die Epilepsiechirurgie etwa zwei von drei Patienten mit einer schwer behandelbaren Epilepsie dauerhaft helfen. „Die Operation ist für die Patienten eine große Chance, anfallsfrei zu werden oder deutlich weniger Anfälle zu haben“, betont Holtkamp. Die Risiken einer Operation, die an der Klinik für Neurochirurgie der Charité – Universitätsmedizin durchgeführt wird, sind aufgrund der langjährigen Erfahrung eines hochspezialisierten Teams und modernster technischer Verfahren gering und gegen das Verletzungsrisiko durch weitere Anfälle abzuwägen.

Ist eine operative Entfernung der Anfallsregion nicht möglich, kann unter Umständen auch eine Vagus-Nerv- oder eine Tiefe Hirnstimulation durchgeführt werden. Durch die Reizung des Vagus-Nervs oder der Anfallsregion im Gehirn wird nach Professor Holtkamp zwar in der Regel keine Anfallsfreiheit erreicht. Allerdings kann unter Umständen die Anfallshäufigkeit deutlich reduziert werden.

Es gibt auch Menschen, bei denen die Anfälle psychische Ursachen haben. Es handelt sich bei diesen Patienten nicht um epileptische, sondern um dissoziative Anfälle. Die stationäre Behandlung dieser Patienten findet in einer spezialisierten Abteilung der Epilepsieklinik Tabor – dem Bernauer Standort des EZBB – statt. Die ambulante Behandlung erfolgt in der Sprechstunde für dissoziative Anfälle der Klinik für Neurologie und der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik der Charité – Universitätsmedizin Berlin (Campus Mitte).

Eine weitere Besonderheit des EZBB ist die  Behandlung von Erwachsenen mit Epilepsie und Mehrfachbehinderung, bei denen es mitunter schwierig sein kann, bestimmte Symptome einzuordnen. Die interdisziplinäre diagnostische Klärung und Behandlung der zusätzlich auftretenden Behinderungen gehört mit zum Aufgabenbereich des EZBB. Die ambulante und stationäre Behandlung dieser Patienten findet sowohl  in der Epilepsieklinik Tabor in Bernau als auch am Berliner Standort des EZBB am KEH statt. Am KEH ist die Station in das denkmalgerecht sanierte „Haus 4“ integriert.

Neben Erwachsenen erhalten auch Kinder und Jugendliche mit Epilepsie – mit und ohne zusätzliche Behinderung – am Berliner Standort des EZBB am KEH eine umfassende Diagnostik und Therapie.

Gerüstet für komplexe Bedarfslagen

Professor Martin Holtkamp zufolge hat die Epilepsie bei vielen Patienten erhebliche Auswirkungen auf deren Lebensqualität. Insbesondere nach einer langen Krankheitsgeschichte litten viele unter Ängsten oder Depressionen, erklärt er. Deshalb kümmern sich am EZBB auch Neuropsychologen und ein spezialisierter Sozialdienst um die Belange von Patienten und Angehörigen, Psychotherapeuten unterstützen sie bei der Krankheits- und Stressbewältigung. Das Angebot gilt nicht nur für den stationären Bereich, sondern auch für die angeschlossenen Epilepsie-Ambulanzen.

„Solche verhaltensmedizinischen Interventionen gehören genau wie die Ergo-, Logo- und Physiotherapie zu unserem integrativen Behandlungskonzept“, sagt Dr. Claudia Wein, Marketingspezialistin für Neue Versorgungsformen am KEH. Darüber hinaus sind Einrichtungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation in das Netzwerk des EZBB eingebunden. Mit niedergelassenen Ärzten und Selbsthilfegruppen findet eine intensive Kooperation statt. „So entstehen qualifizierte Behandlungsangebote auch für die komplexen Bedarfslagen, die mit einer Epilepsie manchmal verbunden sind.“

Hauptkategorien: Berlin , Medizin
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Neurologie , Epilepsie , Psychiatrie

Weitere Nachrichten zum Thema Epilpesie

28.10.2017

Wenn Antiepileptika nicht ausreichend wirken, kann eine Operation eine gute Lösung sein. Daten von knapp 10.000 Patienten zeigen, dass viele damit sogar geheilt werden können. Allerdings kommt der Eingriff nur für bestimmte Patienten in Betracht.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Interview mit Dr. med. Axel Panzer, Neuropädiater und Leiter des Epilepsie-Zentrums an den DRK Kliniken Berlin I Westend
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin