Forscher wollen Virus pandemietauglich machen
Zwei Forscher-Teams um die Virologen Professor Ron Fouchier von der Ersamus-Universität Rotterdam und Professor Yoshihiro Kawaoka von der Universität Wisconsin wollen die Übertragbarkeit und Pathogenität des Influenzavirus H7N9 genetisch manipulieren, um zu erforschen, ob dieses Vogelgrippevirus in der Lage, ist eine Pandemie auszulösen.
Das neue Influenzavirus H7N9 war im März in China erstmals bei Menschen nachgewiesen worden, hat dort bislang 134 Menschen infiziert, 43 sind gestorben. Seit Ende Mai sind kaum noch Neuinfektionen bei Menschen aufgetreten.
Im British Medical Journal hatte in dieser Woche ein Forscherteam um Bao Chang-jun vom Zentrum für Seuchenbekämpfung in der südchinesischen Stadt Nanjing vor den Risiken einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung gewarnt.
Um H7N9 künftig besser verstehen zu können, seien sogenannte „gain-of-function“-Untersuchungen nötig, argumentierten die Virologen Fouchier und Kawaoka jetzt in einem offenen Brief im Fachmagazin „Nature“. Bei solchen Versuchen erhält ein Gen eine neue Funktion oder eine höhere Aktivität.
H7N9-Übertragung von Mensch zu Mensch
Nun ist eine Debatte darüber entbrannt, ob diese Untersuchungen tatsächlich taugen, sich auf eine mögliche Pandemie besser vorzubereiten. Die beiden Virologen hatten bereits im letzten Jahr ähnliche Experimente mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 gemacht: Fouchier hatte in Rotterdam das tödliche, aber auf den Menschen nur schwer übertragbare H5N1-Influenza-Virus durch genetische Manipulation in einen Erreger verwandelt, das durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden und sich damit wie eine saisonale Grippewelle ausbreiten kann. Auch Professor Kawaoka hatte zuvor den manipulierten H5N1 Virus mit dem Schweinegrippevirus von 2009 gekreuzt, um das selbe Ziel zu erreichen.
Auf den Vorschlag von Fouchier und Kawaoka haben das US-Gesundheitsministerium, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sowie das National Institute of Health (NIH) bereits mit einer Stellungnahme in "Science" reagiert, die am 7. August veröffentlicht wurde: In diesem Statement bekräftigen die drei US-Behörden, dass Gain-of-Function-Experimente wichtige Informationen darüber liefern können, wie sich Influenzaviren an Menschen anpassen, zur Erkrankung führen und auf andere Wirte ausbreiten.
In den USA müssen sich Forscher, die öffentliche Gelder für Forschungen haben wollen, bei denen Übertragbarkeit und Pathogenität von H7N9 manipuliert wird, künftig verschärften Kontrollen und Genehmigungsverfahren unterziehen.
Kritik aus China
Der Leiter des chinesischen Zentrums für Seuchenbekämpfung, der Epidemiologe Dr. Zeng Guang, warnt eindringlich vor solchen Experimenten. "Aus Sicht der Sicherheit der ganzen Menschheit sind solche Experimente nicht tragbar. Es gibt keine Mechanismen, die hier eine absolute Sicherheit gewährleisten.“ Guang zweifelt den Nutzen der Versuche an, denn es sei keineswegs klar, dass sich das Virus in der Natur genau so verändern würde wie die genetisch erzeugten Mutationen im Labor.
2009: Milliardengrab Schweinegrippe
Die Debatte erinnert an die „birds-flu“-Kampagne der Jahre 2005 und 2006, die kombiniert mit der Schweinegrippen-Kampagne ab 2008 und der Ausrufung der Pandemiestufe 6 am 11. Juni 2009 durch die WHO im Ergebnis zu einem dramatischen Vertrauensverlust in internationale und nationale Gesundheitsbehörden und letztlich auch in Grippeimpfungen überhaupt geführt hatte.
Impfungen mit wenig erprobten Grippe-Impfstoffen und die milliardenschwere Vorhaltung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten durch die Regierungen weltweit hatten dazu geführt, dass der Europarat 2010 mehr Transparenz bei der WHO und nationalen Gesundheitsbehörden forderte. Das Auslösen eines Pandemie-Alarms sollte dem Einfluss der Pharmaindustrie entzogen werden.
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