Forscher wollen herausfinden, warum Ketamin bei schweren Depressionen so gut wirkt

Das Narkosemittel Ketamin wird gerade erforscht
In verschiedenen amerikanischen Studien hatte Ketamin zu großen Erfolgen geführt. Bekamen schwer depressive Menschen das Mittel gespritzt, hellte sich bei der Mehrzahl nach wenigen Stunden die Stimmung auf. Nur einen Tag später waren bei ihnen sogar sämtliche depressiven Symptome verschwunden. Das Besondere daran: Das Mittel wirkte auch bei jenen Patienten, die auf übliche Antidepressiva nicht ansprechen.
An der Charité, wo derzeit eine Studie mit Ketamin durchgeführt wird, berichtet man über ähnliche Erfolge. Allerdings kann es bei Ketamin zu Nebenwirkungen kommen. Von Blutdruckanstieg, Schwindel und Muskelzuckungen wird berichtet und von einem Phänomen, das Ketamin den Ruf einer Partydroge einbrachte: Halluzinationen sowie das Gefühl, außerhalb des Körpers zu sein. Aus diesem Grund, kann es nicht als Standardtherapie verschrieben werden.
Die molekularen Grundlagen etwas besser verstanden
Da Ketamin aber innerhalb kürzester Zeit bei therapieresistenten Patienten wirkt, versuchen Forscher jetzt seinen Wirkmechanismus zu entschlüsseln. Denn ein besseres Verständnis über die molekularen Grundlagen ist entscheidend, um alternative, nebenwirkungsärmere Medikamente zu entwickeln.
Eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München konnte nun zeigen, dass das schnell wirkende Antidepressivum Ketamin molekulare Signalwege beeinflusst, die am Energiestoffwechsel in Gehirnzellen beteiligt sind.
Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Experimenten mit Mäusen auf den Hippocampus, da diese Gehirnregion bereits in früheren Studien mit Depression in Zusammenhang gebracht wurde. Depressive Patienten zeigen häufig Beeinträchtigungen ihrer Gedächtnisleistung, was durch den Hippocampus gesteuert wird. Darüber hinaus wurden bei diesen Patienten veränderte Verknüpfungen zwischen verschiedenen Hirnregionen einschließlich des Hippocampus beobachtet.
Ketamin sorgt für mehr Energie in Gehirnzellen
Bei den Experimenten zeigten sich bereits zwei Stunden nach Ketamin-Behandlung in den Hippocampuszellen der Mäuse Veränderungen im Energiestoffwechsel. “Solche Veränderungen, wie etwa der Glykolyse und dem Zitronensäurezyklus, wurden zusammen mit Störungen der Mitochondrien bereits zuvor mit affektiven Störungen und Depression in Verbindung gebracht”, erklärt Katja Weckmann, Doktorandin und Erstautorin der aktuellen Studie.
Während die Max-Planck-Forscher in einer früheren Studie zur Behandlung mit konventionellen Antidepressiva einen Anstieg von Stoffwechselprodukten aus der Glykolyse gefunden hatten, haben sie nun nach einer Behandlung mit Ketamin das Gegenteil beobachtet.
Durch die Glykolyse wird bedeutend weniger Energie gewonnen als durch den Zitronensäurezyklus. Ketamin verlagert also den Energiestoffwechsel in den Gehirnzellen in Richtung Zitronesäurezyklus und sorgt dafür, dass den Zellen dadurch deutlich mehr Energie zur Verfügung steht. Außerdem aktiviert Ketamin Signalwege, die zur Bildung frischer Proteine an den Synapsen führen. “All diese Beobachtungen könnten die schnellere Wirkung von Ketamin im Vergleich zu gängigen Antidepressiva erklären”, fasst Christoph Turck zusammen.
Depressionen: Alternativen zu Ketamin
Das Verständnis dieser molekularen Mechanismen könnte die Entwicklung alternativer Medikamente ermöglichen, die genauso schnell ansprechen wie Ketamin, aber weniger Nebenwirkungen haben, hoffen Turck und sein Team. Im Vergleich zwischen mit Ketamin behandelten Mäusen und Kontrollmäusen wurden sieben Stoffwechselprodukte identifiziert, die sich als Biomarker eignen könnten. Turck: „In Zukunft könnten Ärzte anhand dieser Biomarker feststellen, ob ein Patient mit schweren Depressionen auf Behandlung mit Ketamin-ähnlichen Medikamenten anspricht.“
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