Forscher finden Parallelen zwischen Schizophrenie und frontotemporaler Demenz

Es gibt Überschneidungen zwischen Schizophrenie und Frontotemporaler Demenz, haben Wissenschaftler herausgefunden – Foto: © Adobe Stock/ Асель Иржанова
Die frontotemporale Demenz (FTD) ist eine seltene Form einer schnell fortschreitenden Demenz. Sie tritt früher als Alzheimer auf – in der Regel zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr, kann aber auch einen 20-Jährigen wie einen 85-Jährigen treffen. Charakteristisch ist, dass Nervenzellen speziell im Stirnhirn, also dem Frontallappen, und im Schläfenlappen (Temporallappen) untergehen. In diesen Gehirnbereichen werden wichtige Funktionen wie Sozialverhalten und die Verhaltenskontrolle bzw. das Sprachverständnis gesteuert.
Schizophrenie wird im Frontal- und Schläfenlappen verortet
Die Schizophrenie wird ebenfalls in denselben Gehirnregionen verortet. Anfangs sind beide Erkrankungen oft schwer auseinanderzuhalten, insbesondere gibt es Verwechslungen mit der behaviourale Variante der FTD. Bei beiden Erkrankungen verändern sich die Persönlichkeit sowie Verhaltensweisen der Betroffen stark. In der Medizin gelten die frontotemporale Demenz und die Schizophrenie jedoch als völlig verschiedene Erkrankungen. Das war nicht immer so.
Der „Dementia praecox“ auf der Spur
Emil Kraepelin, Gründer des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPI) und der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hatte die Idee einer "frontotemporalen Erkrankung." Der Psychiater ging davon aus, dass der Grund für die zum Teil dramatischen Entwicklungen bzw. Rückschritte der Patienten in den frontalen und Schläfenlappen-Arealen des Gehirns sitzt. 1899 prägte er den Begriff „Dementia praecox“. Damit beschrieb er junge Erwachsene, die sich immer stärker aus der Wirklichkeit zurückziehen und in einen irreversiblen, demenzähnlichen Zustand verfallen.
„Diese Idee ging aber verloren, da in den Gehirnen dieser Patienten keine pathologischen Anzeichen für neurodegenerative Prozesse wie bei der Alzheimer-Krankheit gefunden wurden“, sagt Nikoloas Koutsouleris, der an Kraepelins Wirkungsstätten, dem MPI und der LMU, tätig ist. Zusammen mit dem Neurowissenschaftler Matthias Schroeter ging er nun der Frage nach, ob es nicht doch Gemeinsamkeiten zwischen den Erkrankungen gibt.
Künstliche Intelligenz findet Gemeinsamkeiten
Dafür untersuchten die Wissenschaftler Hirndaten verschiedener Kohorten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz auf ähnliche Muster: Das Ergebnis scheint Kraeplins Hypothese recht zu geben: 41 Prozent der Schizophrenie-Patienten wurden von der KI als bvFTD-Patienten identifiziert – bekamen also die „Diagnose“ Frontotemporale Demenz der behavioural Variante aufgrund neuroanatomischer Ähnlichkeiten.
Weiter fanden Forscher heraus: Je höher der bvFTD-Score der Patienten war, der die Ähnlichkeit zwischen beiden Erkrankungen maß, desto wahrscheinlicher war ein „bvFTD-artiger“ Phänotyp und desto geringer die Verbesserung der Symptome im Laufe von zwei Jahren.
„Ich wollte einfach wissen, wieso sich der Zustand meines 23jährigen Patienten mit beginnenden Symptomen einer Schizophrenie wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und kognitiven Defiziten auch nach zwei Jahren überhaupt nicht verbessert hatte, während ein anderer, dem es anfangs genauso schlecht ging, seine Ausbildung fortsetzte und eine Freundin gefunden hatte. Immer wieder sah ich diese jungen Menschen, bei denen keinerlei Fortschritt möglich war“, beschreibt Koutsouleris.
Subgruppe identifiziert
Als die Forschenden die Zusammenhänge auch bei Hochrisikopatienten wie dem 23jährigen überprüften, fanden sie den klinischen Verlauf auf neuroanatomischer Ebene bestätigt: Ähnliche neuronale Strukturen waren betroffen, insbesondere das sogenannte „Default-Mode“-Netzwerk und das Salienznetzwerk des Gehirns, verantwortlich für Aufmerksamkeitssteuerung, Empathie und Sozialverhalten, zeigten Volumenabnahmen im Bereich der grauen Substanz, die die Nervenzellen beherbergt. Bei der bvFTD gehen bestimmte Neuronen (von Economo Neurone) unter, bei der Schizophrenie sind diese Nervenzellen auch verändert. Das spiegelte der neuroanatomische bvFTD-Score: nach einem Jahr hatte er sich bei diesen Schwerstbetroffenen verdoppelt. Als Vergleich hatten die Wissenschaftler zudem den Alzheimer-Score mit Hilfe eines spezifischen Klassifikators berechnet und fanden dort diese Effekte nicht. Schroeter: „Damit kann man das Konzept der Dementia praecox nicht mehr komplett wegwischen, wir liefern erste stichhaltige Hinweise, dass Kraepelin zumindest bei einem Teil der Patienten nicht falsch lag.“
Der Fund helfe Ärzten, ihre Patienten einer Subgruppe zuzuordnen, meint Koutsouleris. „Dann kann man frühzeitig eine intensive therapeutische Begleitung einleiten, um verbliebene Genesungspotentiale auszuschöpfen.“
Die Arbeit ist jetzt in Fachmagazin JAMA Psychiatry erschienen.