Forscher entwickeln neue Theorie der Resilienz
Bei der Erforschung psychischer Erkrankungen rückt der Begriff der Resilienz immer mehr in den Fokus der Betrachtungen. Als Resilienz wird dabei die innere Stärke oder seelische Widerstandskraft eines Menschen bezeichnet, die ihm hilft, Herausforderungen, Niederlagen und Schicksalsschläge zu meistern und dabei mental gesund zu bleiben. Was genau diese Resilienz aber ist und woher sie kommt, ist nicht völlig erforscht.
Bisher standen vor allem soziale, psychologische und genetische Erklärungen im Vordergrund der Resilienz-Forschung. Wissenschaftler des Forschungszentrums Translationale Neurowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz arbeiten nun an einer mechanistischen Theorie der Resilienz, welche die Bewertung, die das Gehirn als Reaktion auf belastende oder bedrohliche Situationen vornimmt, in den Mittelpunkt rückt. Ihre vorläufigen Ergebnisse wurden kürzlich im Fachmagazin „Behavioral and Brain Sciences“ veröffentlicht.
Psychologische Faktoren für Resilienz
Folgende Faktoren standen bisher (unter anderem) im Mittelpunkt der Resilienzforschung:
- Selbstwirksamkeitserwartung: Resiliente Menschen glauben an die Wirksamkeit ihrer Handlungen und schreiben Erfolge ihrem Können, Misserfolge eher dem Zufall zu. Sie sind der Überzeugung, einen Einfluss auf ihr Leben zu haben und haben selten das Gefühl von Ausgeliefertsein. Menschen mit einer geringen Resilienz sehen sich hingegen oft in der Opferrolle und fühlen sich deshalb hilflos und ohnmächtig.
- Ein gutes soziales Netzwerk: Enge emotionale Bindungen zu anderen Menschen sollen die Resilienz steigern. Psychisch starke Menschen haben zudem die Fähigkeit, andere um Hilfe zu bitten, und sehen Schwierigkeiten vor allem als Herausforderungen.
- Optimismus: Wer optimistisch ist, betrachtet Krisen als vorübergehend. Positive Erfahrungen in der Vergangenheit unterstützen die Überzeugung, dass sich alles zum Guten wenden wird.
Nach Auffassung der meisten Forscher werden die Grundlagen für eine gute Resilienz bereits in der Kindheit gelegt. Umgekehrt können beispielsweise Überbehütung oder mangelnde Werte später eher zu Depressivität und Verzagtheit führen. Viele Experten sind mittlerweile aber auch der Meinung, dass Resilienz trainierbar ist. So sollte man sich immer wieder bewusst machen, was man im Leben bereits alles geschafft hat, und diese Ressourcen dann gezielt für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen nutzen.
Positive Reizbewertung als Grundlage der Resilienz
Die Mainzer Forscher fragten sich nun, ob es einen gemeinsamen Nenner für all diese Einzelansätze gibt. Als einen entscheidenden Faktor identifizierten sie die Frage, wie das Gehirn eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Reiz bewertet. Die vielen anderen bisher identifizierten Faktoren bestimmen Resilienz hingegen vermutlich nur indirekt, indem sie diese Bewertung beeinflussen. „Eine interessante Konsequenz des Bewertungsansatzes ist es, dass es weniger die belastenden Situationen oder Reize sind, die entscheiden, ob Stress entsteht, sondern die Art und Weise, wie das Individuum die Situation bewertet. Ein positiver Bewertungsstil schützt langfristig vor stressbedingten Erkrankungen, weil er die Häufigkeit und das Ausmaß von Stressreaktionen verringert“, erklärt Professor Raffael Kalisch, einer der Autoren der aktuellen Veröffentlichung. Ihren neuen mechanistischen Ansatz nennen die Wissenschaftler „PASTOR“ („Positive Appraisal Style Theory Of Resilience“).
Die Forscher wollen nun die neurobiologischen Prozesse, die einer positiven Bewertung durch das Gehirn zugrunde liegen, aufdecken. „Wir wollen verstehen, welche Vorgänge im Gehirn den Menschen dazu befähigen, sich gegen die schädlichen Auswirkungen von Stress und belastenden Lebensereignissen zu schützen, und wie diese Schutzmechanismen gezielt gefördert und verstärkt werden können“, so Kalisch.
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