Es gilt als relativ gesichert, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist, bei der körpereigene Abwehrzellen das Myelin in Gehirn und Rückenmark angreifen. Das Myelin bildet eine Schutzschicht um die Axone, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Wird das Myelin zerstört, können die elektrischen Signale nicht mehr richtig von einer Nervenzelle zur anderen übertragen werden, was zu den MS-typischen Symptomen wie Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Lähmungen führt. Was diese Schäden bei MS genau auslöst, ist aber nach wie vor unklar.
MS-typische Myelinschäden
Eine Hypothese besagt, dass der Untergang der Oligodendrozyten, also der Myelin-bildenden Zellen, der Auslöser der Nervenkrankheit sei. Diese sogenannte "neurodegenerative Hypothese" stützte sich auf die Beobachtung, dass manche Patienten MS-typische Myelinschäden ohne erkennbaren Immunangriff aufwiesen. Man vermutete daher, dass die Schäden an den Nervenzellen der primäre Auslöser der Krankheit seien und nur in manchen Fällen ein Immunangriff als Antwort erfolge. Die Aktivierung des Immunsystems wäre dann das Ergebnis und nicht die Ursache des pathogenen Prozesses.
Fehlerhafte Regulation des Immunsystems
Diese These wurde nun von Forschern der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen widerlegt. Die Wissenschaftler erzeugten im Mausmodell Myelindefekte, ohne dabei die Immunabwehr zu alarmieren. In keinem der Fälle konnte danach die Entwicklung einer MS-ähnlichen Erkrankung beobachtet werden. Auch als die Forscher zusätzlich das Immunsystem aktivierten, wie es zum Beispiel bei einem Infekt der Fall ist, gelang es nicht, MS-ähnliche Folgen nachzuweisen. "Sofern man es im Tierversuch erheben kann, können wir die Myelin-Hypothese endgültig ausschliessen", erklärt Studienleiter Burkhard Becher. "Der primäre Auslöser ist somit zwar weiter unklar, dürfte jedoch in einer fehlerhaften Regulation des Immunsystems liegen."
Die Forscher wollen nun weiter nach der Ursache der MS suchen, wie Professor Thorsten Buch von der Technischen Universität München erklärt. "Aufgrund dieser und weitere neuer Erkenntnisse wird sich die Forschung an der Krankheitsentstehung der MS in Zukunft sicherlich weniger auf das Gehirn, sondern mehr auf Immunsystem konzentrieren."