Faszien: Sportwissenschaftler veröffentlichen neue Erkenntnisse

Faszientraining wird immer beliebter – Foto: ©sabine hürdler - stock.adobe.com
Noch vor wenigen Jahren wussten die meisten Menschen gar nicht, dass sie welche haben – heute sind sie in aller Munde: Faszien. Sie bezeichnen das helle Bindegewebe aus Kollagen- und Elastinfasern, das die Muskeln umhüllt und aus dem auch die Bänder und Sehnen bestehen. Die von Feuchtigkeit umgebenen Bindegewebsschichten sorgen dafür, dass benachbarte Muskeln bei Bewegung aneinander entlanggleiten können. Zudem sorgen sie für die Stabilität des Körpers.
Lange Zeit galten Faszien jedoch nur als passives „Verpackungsmaterial“ für unsere Muskeln ohne bedeutsame Funktionen für das Bewegungssystem. Doch neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass sie eine weitaus wichtigere Rolle spielen. In seiner neuesten Ausgabe würdigt nun auch das renommierte amerikanische Anatomiebuch „Gray´s Anatomy“ das muskelumhüllende Gewebe mit einem Eintrag. Geschrieben wurde er von zwei Sportwissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Faszien besitzen hohe Nervendichte
In Anatomiebüchern wurden Faszien bisher nur selten exponiert dargestellt, in Anatomiekursen fielen sie meist schnell dem Skalpell zum Opfer, da das dünne, weißliche Gewebe den Blick auf die Muskeln des Körpers verstellt. Inzwischen weiß man aber, dass es eine höhere Nervendichte und Schmerzempfindlichkeit besitzt als Muskeln und somit bei verschiedenen orthopädischen Beschwerden relevant sein könnte. So erklärt sich auch der gegenwärtige Hype um das Faszientraining: Kaum ein Fitnessstudio verzichtet darauf, die sogenannten „Faszien-Rollen“ anzubieten, und ein gezieltes Training des Bindegewebes soll Schmerzen entgegenwirken und gleichzeitig für straffe Konturen sorgen.
Nun wurden die Frankfurter Sportwissenschaftler Dr. Jan Wilke und Prof. Winfried Banzer, der zugleich Sportmediziner ist, eingeladen, einen Kommentar zu ihren Forschungsergebnissen für „Gray´s Anatomy“, einem Klassiker der medizinischen Lehrbücher, zu verfassen. Beide Autoren beschäftigen sich mit der potenziellen mechanischen Rolle des kollagenen Bindegewebes.
Muskel-Faszien-Ketten durchziehen den ganzen Körper
Mit einer systematischen Literaturanalyse konnten Wilke und Banzer nachweisen, dass Faszien, entgegen zahlreicher Darstellungen in Standardwerken der Anatomie, die Muskeln des Körpers nicht voneinander abgrenzen, sondern – teils von Kopf bis Fuß – direkt verbinden. Möglicherweise erklären die so entstehenden Muskel-Faszien-Ketten, warum Schmerzen manchmal in entfernten Körperregionen auftreten.
Dies kann auch die Wirkung bestimmter Sportübungen erklären: Denn da im Verlauf der Kontinuitäten auch Kräfte übertragen werden, beschränken sich die Wirkungen von Dehnübungen oder Krafttraining nicht auf den Anwendungsort. Bestätigt haben dies unter anderem mehrere Studien aus dem Frankfurter Institut für Sportwissenschaften, die zeigen, dass Dehnübungen der Beinmuskulatur sogar die Beweglichkeit der Halswirbelsäule steigern und nicht weniger effektiv sind als lokale Übungen des Nackens. Wilke und Banzer wollen nun herausfinden, ob die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung bei Gesunden auch auf Patienten übertragbar sind.
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