Experten zur Masernimpfpflicht: Kinder sind gar nicht das Problem

Bei der Masernimpfpflicht hat der Gesetzgeber die Erwachsenen nicht berücksichtigt
Am 14. November 2019 hat das Gesetz zur Masernimpfpflicht den Deutschen Bundestag passiert. Danach müssen alle Kinder (ab 1 Jahr) beim Eintritt in die Kita oder in die Schule einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder eine natürlich erworbene Immunität nachweisen – es sei denn es wird eine Kontraindikation bescheinigt. Das gilt auch für die Betreuung durch eine Tagesmutter.
Für einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern sind nach den Regelungen im ersten Lebensjahr eine Masernimpfung und bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres zwei Masernimpfungen erforderlich. Erst nach der zweiten Impfung besteht volle Immunität gegen Masern. Das neue Gesetz des Bundesgesundheitsministeriums schreibt außerdem zwei Masernimpfungen für Erzieher, Lehrer und medizinisches Personal vor, wenn sie nach 1970 geboren sind.
Das Gesetz soll zur Eliminierung der Masern beitragen, wofür eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent in der gesamten Bevölkerung erforderlich wäre. Deutschland erreicht dieses Ziel jedoch bei weitem nicht. Das liegt aber nicht an ungeimpften Kindern, sondern eher an ihren Eltern.
Gesetz ist gut gemeint, aber nicht durchdacht
Schon der Deutsche Ethikrat hatte in einem Gutachten angemerkt, dass eine Impfpflicht für Kinder nicht gerechtfertigt sei, da immerhin jeder zweite Masern-Kranke in Deutschland ein Erwachsener sei. Mit dieser Kritik ist der Ethikrat nicht alleine. Auch unter Ärzten und Juristen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ist das neue Gesetz umstritten.
„Wir können die Masernimpfquote bei Kindern zu Schulbeginn als relativ gut bezeichnen“, sagte der Berliner Kinderarzt Dr. med. Martin Terhardt, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission STIKO ist, auf einer AWMF-Sitzung diese Woche. Nach Daten der STIKO haben in Deutschland 95,6 Prozent der Zweijährigen die erste Masernimpfung erhalten, die zweite jedoch nur 73,9 Prozent. Zum Zeitpunkt der Einschulung sind dagegen schon 97,1 Prozent einmal und knapp 93 Prozent zweimal gegen Masern geimpft. Damit wird das 95-Prozent-Ziel nur knapp verfehlt.
Eklatante Impflücken bei den Erwachsenen
Eklatante Lücken sind nach Auskunft des Kinderarztes jedoch bei den nach 1970 geborenen Erwachsenen zu beobachten. So treten die meisten Masernfälle inzwischen bei den jungen Erwachsenen auf. „Hier besteht ein deutlicher Nachholbedarf für die Masernimpfung“, betonte der Experte.
Doch diese riesige Impflücke wird im neuen Gesetz gar nicht abgebildet. „Die Masern-Durchimpfungsquoten bei den Kindern machen uns weniger Sorgen. Hier eine Impfpflicht zu verankern, ist eher kontraproduktiv, denn sie kann dazu führen, dass die Bereitschaft bei den anderen ‚freiwilligen‘ Schutzimpfungen zurückgeht“, sagte Dr. med. Anne Bunte, die im Jahr 2018 als damalige Leiterin des Kölner Gesundheitsamtes eine Masernepidemie managte. Bei den in Köln insgesamt 139 an Masern Erkrankten waren über 60 Prozent Erwachsene. Bunte befürchtet, dass zudem mit vielen juristischen Auseinandersetzungen zu rechnen sei.
Mehr Aufklärungsarbeit gefordert
„Die gesetzliche Impfpflicht für Kinder setzt nicht da an, wo die eigentlichen Lücken sind: Bei den ungeimpften oder unvollständig gegen Masern geimpften Erwachsenen“, so die einhellige Meinung der Experten.
Sie fordern darum mehr Aufklärungsarbeit, um vor allem Erwachsene an die Impflücken zu erinnern. Automatische Impf-Erinnerungen, verständliche Impfaufklärungsmaterialien, Argumentationshilfen für Ärzte sowie ein elektronischer Impfpass könnten hilfreiche Instrumente sein, um die Impfquoten insgesamt zu verbessern.
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