Experten fordern mehr Altersmediziner in Kliniken
Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Bereits heute sind 17 Millionen Deutsche über 65 Jahre alt, und im Jahr 2030 werden es etwa 22 Millionen sein – also ein Viertel der Bevölkerung. Die medizinische Versorgung dieser Menschen setzt ganz bestimmte Erfahrungen und Spezialkenntnisse voraus, denn ältere Patienten haben andere Bedürfnisse als junge. Oft liegen Begleiterkrankungen vor, die bei der Behandlung berücksichtigt werden müssen, etwa Herzleiden, Stoffwechselerkrankungen oder eine Demenz. Außerdem führen akute Erkrankungen häufig zu Einschränkungen in der Mobilität und Alltagskompetenz.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) kritisiert nun, dass die Versorgungsstrukturen für ältere Patienten mit gut ausgebildeten Altersmedizinern und multiprofessionellen Teams aus Internisten, Unfallchirurgen, Neurologen, Sportmedizinern sowie Rehabilitationsangeboten bislang unterrepräsentiert seien. Die Fachgesellschaft fordert deshalb, die geriatrische Kompetenz deutscher Krankenhäuser auf einen Stand zu bringen, der dem demografischen Wandel Rechnung trägt.
Multimorbidität erschwert die Behandlung oft
„Ältere Patienten unterscheiden sich in vielen Punkten von den jüngeren“, sagt Professor Cornel C. Sieber, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg und neuer Vorsitzender der DGIM. „Sie sind viel gebrechlicher und haben oft nur geringe körperliche Reserven.“ Viele seiner Patienten leiden bereits an mehreren chronischen Erkrankungen. Ein weiteres Ereignis – wie etwa ein Unfall oder auch nur ein Krankenhausaufenthalt – könnte ihr bisher gerade noch funktionierendes Gleichgewicht nachhaltig aus dem Lot bringen. „Wir Geriater betrachten die Krankheiten deshalb in ihrem Zusammenspiel“, so Sieber, der auch Leiter des Instituts für Biomedizin des Alterns in Nürnberg ist. „Zudem benötigen wir besondere Kenntnisse über die Wechselwirkungen von Arzneimitteln. Schließlich nehmen viele Patienten fünf oder mehr Medikamente ein.“
Bei älteren Patienten sind oft andere Therapien sinnvoll als bei jüngeren
Auch Mangelernährung sei ein typisches Alterssyndrom, das in die Behandlung einbezogen werden müsse. Zudem kommen teilweise andere Therapieoptionen als bei jüngeren Patienten zum Einsatz: „Als Geriater muss ich die Behandlung so auswählen, dass dem Patienten in seinem noch verbleibenden Leben möglichst viel Lebensqualität und Funktion erhalten bleibt,“ erklärt Sieber. Dies könne bedeuten, gegebenenfalls auch Medikamente einzusetzen, die bei langjährigem Gebrauch Nebenwirkungen haben, wie etwa bestimmte Wirkstoffe gegen die Osteoporose. Von ihnen könnten hochbetagte Patienten kurz- bis mittelfristig profitieren, da die Spätkomplikationen vermutlich kaum mehr zum Tragen kommen.
Die Einnahme von Medikamenten, die einen langfristigen Nutzen, aktuell aber Nebenwirkungen haben können, sollte hingegen überdacht werden. So könnte die Gabe von Betablockern nach einem Herzinfarkt Schwindel begünstigen und dadurch die Sturzgefahr erhöhen, erklärt der Geriater. Auch bei der diagnostischen Abklärung von Beschwerden gelte es, kritisch zu hinterfragen, welche Konsequenzen die Befunde nach sich ziehen. Sei ein Patient etwa nicht mehr operationsfähig, benötige er unter Umständen auch keine aufwändige und strapaziöse Diagnostik.
Geriatrie in Deutschland stärken
Die fachgerechte geriatrische Versorgung steht in Deutschland nach Ansicht der DGIM noch am Anfang. Bisher ist sie als Schwerpunkt in der Inneren Medizin nur in drei Bundesländern (Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt) anerkannt. Zwar richten immer mehr Universitäten einen Lehrstuhl für Geriatrie ein, der Bedarf werde dadurch jedoch nicht gedeckt. Geriatrische Kompetenz müsse zwingender Bestandteil in Aus- und Weiterbildung werden und die nötigen Strukturen müssen auf allen Versorgungsebenen – in Praxis, Klinik und der Rehabilitation – sichergestellt sein, betont auch der Generalsekretär der DGIM, Professor Ulrich R. Fölsch aus Kiel. „Der demografische Wandel ist in aller Munde", so Fölsch. In der medizinischen Versorgung sei er aber bisher nur in Teilen angekommen.
Foto: Syda Productions – Fotolia.com