Exoskelette: Hoffnung für Gelähmte und Schlaganfallpatienten

Großes Potenzial: Exoskelette wie hier das HAL bringen Querschnittsgelähmte wieder in Bewegung.
Mit den Gedanken die Beine oder Hände steuern: Was bei Gesunden völlig unbewusst und selbstverständlich passiert, ist bei Menschen mit Lähmungen nicht mehr möglich. Oder doch? Die WM 2014 in Brasilien hat der Welt gezeigt, wozu Neurotechnologien in der Lage sind. Ein Querschnittsgelähmter machte den Anschuss – dank eines Exoskeletts. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle übersetzte seine Gedanken in Bewegung.
Bereits 1999 hatte ein komplett gelähmter Mann nur mit Hilfe seiner Gedanken einen Brief getippt. Hans-Peter Salzmann war an eine sogenannte Computer-Hirn-Schnittstelle (Brain-Computer-Interface BCI) angeschlossen. Über seinen Fall gab es einen langen Artikel im Wissenschaftsmagazin „Nature“.
Training mit Exoskelett nur auf Antrag
Seither sind 20 Jahre ins Land gegangen und die Medizin hat sich rasant weiter entwickelt. Exoskelette werden heute zunehmend an Arbeitsplätzen eingesetzt, um Menschen bei schwerer Arbeit zu unterstützen. Die Deutsche Post etwa macht davon Gebrauch.
In der Medizin bzw. Rehabilitation sind es bislang immer noch Einzelfallentscheidungen der Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, ob Querschnittsgelähmte mit Hilfe von Exoskeletten trainieren dürfen. Im häuslichen Umfeld kommen die Hilfsmittel noch gar nicht zum Einsatz.
Querschnittsgelähmte stehen wieder auf
„Es gibt bislang nur wenige hoch-qualitative Studien“, erklärte Dr. Emre Yilmaz von der Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil am Freitag auf dem Demografiekongress in Berlin. Vergleichende Studien mit Physiotherapie gebe es gar keine. Die (wenigen) vorliegenden Forschungsergebnisse seien jedoch vielversprechend.
Eine von Yilman durchgeführte Untersuchung in der Rehabilitation von 120 akut oder chronischen Querschnittsverletzten mit dem Exoskelett HAL konnte zeigen, dass alle Probanden ihre Mobilität verbessern konnten. Es gab auch keine größeren Komplikationen wie etwa Hautabschürfungen. „Wir konnten bei allen Patienten eine Steigerung der Ausdauer und Geschwindigkeit beobachten, auch ohne Exoskelett“, fasste Yilmaz das vielversprechende Ergebnis zusammen.
„Habe mir mehr erwartet“
Dennoch waren offenbar nicht alle Patienten mit dem Ergebnis zufrieden. Eine junge Patientin, die die größten Fortschritte gemacht hatte, habe sogar von einer schlechteren Lebensqualität berichtet „Sie wollte wieder tanzen gehen und hatte sich mehr erwartet“, erzählte der Unfallchirurg.
Computer-Hirn-Schnittstellen funktionieren auch bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) und Schlaganfall.
Neural-gesteuertes Hand-Exoskelett für Schlaganfallpatienten
Surjo Soekadar, Einstein Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité, hat speziell für halbseitig gelähmte Schlaganfallpatienten ein neural-gesteuertes Hand-Exoskelett entwickelt. Neural gesteuert bedeutet: Der Patient denkt, dass er die Hand bewegen möchte – und durch Elektroden auf dem Kopf wird dieser Gedanke in tatsächliche Bewegung übertragen. Dadurch lernen selbst Patienten, die keinerlei Restfunktion mehr in der Hand haben, wieder zu greifen. Verblüffend ist, dass dieser Effekt nachhaltig ist, also die Bewegung auch ohne das Exoskelett erhalten bleibt. Das Gehirn ist offenbar sehr lernfähig, wenn es entsprechend trainiert wird.
Gelähmte Hand schneidet Gurken
„Die regelmäßige Verwendung eines BCI kann zu einer funktionellen und strukturellen Neuroplastizität führen“, erläuterte Soekadar den Therapieerfolg. Dadurch könnten verlorengegangenen Funktionen wiederhergestellt werden. „Das ist eine enorme Verbesserung der Lebensqualität“, so der Neurowissenschaftler. In seiner Präsentation zeigte er eine halbseitig gelähmte Schlaganfallpatientin beim Gurkenschneiden.
Allerdings funktioniere die mit Gedankenkraft gesteuerte neue Hand nicht bei allen Patienten. „Wir sind dabei herauszufinden, was den Unterschied macht.“ Möglicherweise hinge der Erfolg von den noch vorhandenen Nervenfasern ab, aber vermutlich spielten auch psychosoziale Faktoren wie der persönliche Leidensdruck eine Rolle.
Experten sehen große Potenziale
Wie auch Exoskelette für die unteren Extremitäten sind auch die neuen Hände der Charité-Forscher augenblicklich nur in Kliniken im Einsatz. In naher Zukunft würden sie aber auch in den Alltag integriert werden, ist Soekadar überzeugt.
BCIs, so das Fazit der Experten, haben große Potenziale für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen und Lähmungen. Die psychologische Komponente sei dabei nicht zu unterschätzen, wenn zum Beispiel ein Querschnittsgelähmter aus dem Rollstuhl aufstehen oder eine halbseitig gelähmte Schlaganfallpatientin wieder die Hand bewegen könne.
Angesichts der demografischen Entwicklung werde der Bedarf weiter wachsen, hieß es. Allerdings seien mehr Studien notwendig, um den Nutzen der vielversprechenden Hilfsmittel in der Breite zu zeigen.