Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt
Logo Gesundheitsstadt Berlin
Das Gesundheitsportal aus der Hauptstadt

Ethikrat für schrittweise Lockerung des Lockdowns

Mittwoch, 1. April 2020 – Autor:
Der Deutsche Ethikrat hält die gegenwärtigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie in Deutschland für gerechtfertigt. Jedoch müssten die Restriktionen bald schrittweise gelockert werden. Wie das geschehen kann, hat das Gremium in seiner Ad-hoc-Empfehlung "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise" beschrieben.
Ethikratsvorsitzender Peter Dabrock zur Corona-Krise: „Politik darf der Wissenschaft nicht hörig sein“

Ethikratsvorsitzender Peter Dabrock zur Corona-Krise: „Politik darf der Wissenschaft nicht hörig sein“

Umfragen zufolge befürworten 95 Prozent der Deutschen die aktuell zur Eindämmung der Coronavirus-Infektionen ergriffenen Maßnahmen. Doch ewig lässt sich der Lockdown nicht aufrechterhalten, die sozialen und ökonomischen Folgen wären katastrophal.

Das sieht auch der Deutsche Ethikrat so. Freiheitsbeschränkungen seien zum jetzigen Zeitpunkt gerechtfertigt, müssten jedoch „kontinuierlich mit Blick auf die vielfältigen sozialen und ökonomischen Folgelasten geprüft und möglichst bald schrittweise gelockert werden“, schreibt das Gremium in seiner Ad-hoc-Empfehlung "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise".

Abwägung konkurrierender moralischer Güter

Das am 27. März veröffentlichte Papier soll Orientierung in einem schwierigen Abwägungsprozess geben. Einerseits geht es darum, eine Überforderung des Gesundheitssystems und eine Triage (Selektion der Patienten wie derzeit in Italien, Frankreich und New York) zu verhindern, andererseits müssen zugleich schwerwiegende Nebenfolgen für Bevölkerung und Gesellschaft möglichst gering gehalten werden. „Das erfordert eine gerechte Abwägung konkurrierender moralischer Güter“, schreibt der Ethikrat, „die auch Grundprinzipien von Solidarität und Verantwortung einbezieht und sorgfältig prüft, in welchem Ausmaß und wie lange eine Gesellschaft starke Einschränkungen ihres Alltagslebens verkraften kann.“

Politik darf Entscheidungen nicht an Wissenschaft delegieren

Dabei dürfe sich die Politik nicht auf Einzelmeinungen einzelner Wissenschaftler verlassen. „Es widerspräche dem Grundgedanken demokratischer Legitimation, politische Entscheidungen an die Wissenschaft zu delegieren und von ihr eindeutige Handlungsanweisungen für das politische System zu verlangen“, mahnt der Etikrat. Gerade schmerzhafte Entscheidungen müssten von den Organen getroffen werden, die hierfür durch das Volk mandatiert seien und dementsprechend auch in politischer Verantwortung stünden. „ Die Corona-Krise ist die Stunde der demokratisch legimitierten Politik.“

Etwas konkreter wurde der Ethikratsvorsitzende Peter Dabrock in einem Interview mit dem Präsidenten der Universität  Prof. Dr. Joachim Hornegger Erlangen-Nürnberg (FAU):  „Politik darf der Wissenschaft nicht hörig sein“, sagte Dabrock. „Die eine wissenschaftliche Empfehlung, die gibt es doch gar nicht.“

Um die sozialen und ökonomischen Folgekosten zu minimieren sollten, bedarf es aus Sicht des Ethikrats folgender Maßnahmen:

  • eine fortlaufend kritische Evaluation (Bewertung) der aktuellen freiheitsbeschränkenden Infektionsschutzmaßnahmen
  • eine fundierte Strategie für die transparente und regelmäßige Kommunikation zu ergriffenen Maßnahmen und zur politischen Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit Covid-19
  • konkrete Berechnungen der zu erwartenden Kosten durch ergriffene Maßnahmen und Alternativszenarien
  • Unterstützung von interdisziplinärer Forschung zu sozialen, psychologischen und anderen Effekten der Maßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie

Zur Eindämmung der Infektionszahlen empfiehlt der Deutsche Ethikrat unter anderem:

  • weiteres Aufstocken und Stabilisieren der Kapazitäten des Gesundheitssystems
  • Einführung eines flächendeckenden Systems zur Erfassung und optimierten Nutzung von Intensivkapazitäten
  • Abbau bürokratischer Hürden und bessere Vernetzung im Gesundheitssystem und mit anderen relevanten Gesellschaftsbereichen
  • weiterer Ausbau von Testkapazitäten
  • weitere kontinuierliche Datensammlung zu individueller und Gruppenimmunität und zu Verläufen von Covid-19
  • Entwicklung von effektiven und erträglichen Schutz- und Isolationsstrategien für Risikogruppen

Der vollständige Wortlaut der Ad-hoc-Empfehlung ist abrufbar unter www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ad-hoc-empfehlung-corona-krise.pdf.

Foto © Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen

Hauptkategorien: Berlin , Gesundheitspolitik , Medizin , Corona
Lesen Sie weitere Nachrichten zu diesen Themen: Coronavirus , Gesundheitspolitik

Weitere Nachrichten zum Thema Coronavirus

Eine MS-Erkrankung stellt grundsätzlich kein erhöhtes Risiko für Covid-19 bzw. einen besonders schweren Verlauf der Corona-Infektion dar. Anders sieht es aus, wenn Patienten zur Behandlung der Multiplen Sklerose bestimmte Medikamente einnehmen. Auch eine starke Behinderung kann das Risiko erhöhen, bei einer Infektion schwerer zu erkranken.

05.04.2020, aktualisiert: 06.04.2020

Mitte Mai erwarten Virologen eine Coronapatientenwelle und damit die erste Belastungsprobe für das deutsche Gesundheitssystem. Nach Aufrufen von Politik und Universitäten haben Tausende Medizinstudenten ihre Bereitschaft signalisiert, in die Bresche zu springen. Aber wo? In Deutschland gibt es fast 2.000 Krankenhäuser. Auf einer Internet-Plattform können Freiwillige und Einrichtungen jetzt zueinanderfinden.

07.04.2020

Noch müssen Ärzte in Deutschland keine Triagierung von COVID-19-Patienten vornehmen. Doch was wenn, die Intensivkapazitäten auch hier zu Lande nicht reichen? Gesundheitsstadt Berlin hat über das bedrückende Thema mit Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen gesprochen. Die Charité-Medizinerin befasst sich als Mitglied des Deutschen Ethikrats und einer soeben eingerichteten Task Force des Berliner Senats intensiv mit dem Worst-Case-Szenario „Triagierung“.

Aktuelle Nachrichten

Mehr zum Thema
Weitere Nachrichten
Die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie machen Beschäftigten in Gesundheitsberufen besonders zu schaffen. Das zeigt eine Analyse der AOK-Nordost für Berlin. Eine Berufsgruppe ist sogar doppelt so oft betroffen wie der Durchschnitt der Versicherten.

Die Charité hat am Montag eine stadtweite Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende zu gewinnen. Besonders Pflegekräfte werden umworben, aber auch in Forschung, Lehre und Verwaltung sucht die Universitätsmedizin Verstärkung.

Trotz internationaler Transparenzregeln werden viele klinische Studien nicht veröffentlicht. Wichtige Ergebnisse bleiben somit verborgen. Dem setzt das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité nun mit einem öffentlich einsehbaren Dashboard etwas entgegen.
Kliniken
Interviews
Einen ambulanten Pflegedienst in Berlin zu finden, ist schwierig geworden. Personalmangel ist das Hauptproblem. Dabei gäbe es relativ einfache Lösungen, sagt Thomas Meißner vom AnbieterVerband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG). Im Gespräch mit Gesundheitsstadt Berlin verrät der Pflegeexperte und Chef eines häuslichen Krankenpflegedienstes, wie man Menschen in den Pflegeberuf locken könnte und warum seine Branche noch ganz andere Sorgen hat als die Personalfrage.

Affenpocken verlaufen in der Regel harmlos. Doch nicht immer. Dr. Hartmut Stocker, Chefarzt der Klinik für Infektiologie am St. Joseph Krankenhaus in Berlin Tempelhof, über die häufigsten Komplikationen, die Schutzwirkung der Impfung und den Nutzen von Kondomen.

Zöliakie kann in jedem Lebensalter auftreten und ein buntes Bild an Beschwerden machen. Bislang ist das wirksamste Gegenmittel eine glutenfreie Ernährung. Gesundheitsstadt Berlin hat mit PD Dr. Michael Schumann über die Auslöser und Folgen der Autoimmunerkrankung gesprochen. Der Gastroenterologe von der Charité hat an der aktuellen S2K-Leitinie „Zöliakie“ mitgewirkt und weiß, wodurch sich die Zöliakie von anderen Glutenunverträglichkeiten unterscheidet.
Logo Gesundheitsstadt Berlin