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"Es darf keine Tabus geben"

Mittwoch, 24. April 2013 – Autor: Anne Volkmann
Die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) Hedwig François-Kettner über Hygieneskandale, den Personalmangel an deutschen Kliniken und den Umgang mit Fehlern im medizinischen Alltag.
Pflegedirektorin Hedwig François-Kettner

Hedwig François-Kettner

Frau François-Kettner, die Medizin steht unter immer stärkerem ökonomischen Druck. Sehen Sie die Gefahr, dass darunter die Qualität der medizinischen Versorgung leidet?

François-Kettner: Ja, diese Gefahr besteht. In den USA hat es diversen Studien zufolge deutliche Qualitätseinbrüche gegeben, indem beispielsweise weniger qualifiziertes Personal in der Pflege eingesetzt wurde. Daraus müssen wir lernen. Die Tatsache, dass wir heute häufiger als früher von medizinischen Fehlern hören – wie beispielsweise bei Hygieneskandalen –, hat aber auch damit zu tun, dass wir heute genauer hinsehen und mehr über die Zusammenhänge wissen. Und das ist ja zunächst etwas Positives. Wir vom Aktionsbündnis Patientensicherheit wollen die Menschen daher weiter für das Thema Qualität sensibilisieren und darauf aufmerksam machen, dass Fehler oder unerwünschte Ereignisse in gewisser Weise zum medizinischen Alltag gehören. Darüber muss geredet werden, und dabei darf es keine Tabus geben.

Sind denn die Krankenhäuser zur Kooperation und zur Offenlegung ihrer Daten bereit?

François-Kettner: Ich arbeite ja selbst im Krankenhaus und kenne daher beide Perspektiven sehr gut. Auf der einen Seite sind die Krankenhäuser auf einem guten Weg, Qualitätssicherung zu betreiben. So machen mittlerweile viele Kliniken bei der „AKTION Saubere Hände“, die vom APS ins Leben gerufen wurde, mit. Und an der Charité haben wir beispielsweise das Institut für Hygiene und Umweltmedizin unter der Leitung von Professor Petra Gastmeier, das unter anderem routinemäßige Untersuchungen der Hygiene vornimmt, an denen viele deutsche Krankenhäuser beteiligt sind. Auf der anderen Seite fürchten die Krankenhäuser natürlich auch die Skandalisierung durch die Medien, die schnell auftritt, sobald ein „Fehler“ bekannt wird. Das haben wir ja bei den jüngsten Ereignissen um Hygienemängel erlebt, und das dient nicht unbedingt der Sache. Es darf nicht um Schuldige, sondern muss immer um Lösungen gehen. Ein weiteres Problem ist, dass die Kliniken einfach nicht genügend Kapazitäten haben, um so arbeiten zu können, wie sie gerne würden.

Das heißt, das größte Problem ist der Personalmangel?

François-Kettner: Genau, wobei Personalmangel nicht das gleiche ist wie eine zu geringe Stellenausstattung. Und deshalb nützt es nichts, allein nur die Kontrollinstanzen zu verstärken. Dass die Hygienevorschriften befolgt werden müssen, ist inzwischen wohl auch dem Laien klar. Das muss für jeden Arzt und jede Pflegekraft so selbstverständlich sein wie sich die Schuhe anzuziehen. Hier haben wir auch schon große Fortschritte zu verzeichnen, wie auch der Ergebnisstand der „AKTION Saubere Hände“ zeigt. Doch wenn alle Hygienevorschriften optimal befolgt werden, bleibt oft nicht mehr genug Zeit für die Pflege der Patienten. Leider wird das in der Debatte zu wenig thematisiert.

Welche anderen Projekte neben der „AKTION Saubere Hände“ betreibt das Aktionsbündnis Patientensicherheit noch?

François-Kettner: Unter anderem haben wir im letzten Jahr die sehr erfolgreiche Broschüre „Reden ist Gold – Kommunikation nach einem Zwischenfall“ herausgebracht, die sich vor allem an Kliniken und Ärzte richtet. Darin empfehlen wir, nach einem eventuellen Behandlungsfehler mit den Patienten offen darüber zu sprechen. Aktuell arbeiten wir an Informationsmaterialien für Patienten, beispielsweise an einer Schrift zu „Tipps im Krankenhaus“, oder auch an Empfehlungen zur Etablierung von „Patientensicherheit“ in den Lehrplänen für Gesundheitsberufe.

Welche Instrumente haben Sie, um die Qualitätsstandards an deutschen Kliniken überhaupt zu bestimmen?

François-Kettner: Hierfür haben wir im Jahr 2009 das Institut für Patientensicherheit an der Universität Bonn (IfPS) gegründet, das entsprechende Untersuchungen macht. Unter anderem hat das IfPS vor drei Jahren eine große Studie zu der Frage durchgeführt, was die deutschen Kliniken bereits bei den Themen Patientensicherheit und Risikomanagement getan haben. Das hat uns wichtige Aufschlüsse darüber gegeben, wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Derzeit arbeiten wir daran, aus den Ergebnissen der Studie konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Im nächsten Jahr soll die Studie dann wiederholt werden.

Häufig fehlen ja auch einheitliche Parameter zur Messung von Qualitätsstandards.

François-Kettner: Das ist richtig. Auch hier führt das IfPS eine Studie durch, zu der wir im nächsten Jahr die Ergebnisse erwarten. Wir hoffen, dass es bei der Entwicklung von Qualitätsindikatoren sehr bald Verbesserungen geben wird.

Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich beschäftigen, ist die Sicherheit von Arzneimitteln.

François-Kettner: Ja, wir haben am 18. April 2013 eine Handlungsempfehlung für die Einnahme des Rheumamittels Methotrexat herausgegeben. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass viele Patienten Fehler bei der Einnahme machen, die zu schweren Nebenwirkungen führen können. Die Handlungsempfehlung ist auch auf unserer Website  nachlesbar.

Bisher arbeiten Sie beim Aktionsbündnis Patientensicherheit hauptsächlich mit Ehrenamtlichen. Reicht das auf Dauer aus?

François-Kettner: Nein, das ist auch ein großes Problem. Uns werden so viele neue Projekte angetragen, dass unsere Kapazitäten nicht ausreichen. Wir müssen jetzt eine eigene Geschäftsstelle mit angestellten Mitarbeitern aufbauen. Das muss finanziert werden.

Das heißt, Sie brauchen dringend weitere Unterstützung?

François-Kettner: Ja. Bisher finanzieren wir uns ja nur über Mitglieder und Sponsoren bei einzelnen Projekten. Wir sind natürlich sehr stolz, so viele Mitglieder zu haben, die sich auch aktiv in die Arbeit einbringen. Das Besondere am APS ist ja, dass jeder, der im Gesundheitswesen arbeitet, mitmachen kann – egal, ob er zum Pflegepersonal gehört, Leiter einer Klinik oder Mitarbeiter eines Pharma-Unternehmens ist. Wir würden uns aber natürlich auch von politischer Seite noch mehr Unterstützung als bisher wünschen, damit wir unsere Arbeit fortführen und weiter ausbauen können. Denn das Thema Patientensicherheit geht jeden etwas an.

Hedwig François-Kettner ist Pflegedirektorin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, und Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit.

Interview: Anne Volkmann

Aktuelles Interview / April 2013

 

                                             

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